Randnotizen deluxe

Also normalerweise schreibe ich hier ja immer auf, wir hart prekär ich bin. Schon klar: mit Arbeit, Wohnung, Essen, Trinken und Café-Besuch. Aber eben vergleichsweise schlecht bezahlt und vor allem abgesichert. Seit ich Mutter bin, ist dieses Thema recht dominant geworden. Immer das Geld… Es nervt. Obwohl so vieles gut ist.

Nun allerdings hatte ich für wenige Tage die Gelegenheit, in ein anderes Leben zu schnuppern: Ich war mit Mann und Kind in einem 5 Sterne-Hotel zu Besuch. Wie und warum ist hier egal, aber was ich für mich notiert habe – eben als Randnotiz – das tut nach all den Sorgen um Existenz und Zukunft echt ganz gut.

1. „Sehr viel Geld haben“ ist eine Marke. Man stellt sich das so vor: Den Club der Superreichen. Den Dresscode. Die Schneckengabel. Und dann steht man da eher so casual und stellt fest, dass man doch wieder ganz geborgen in einer asiatischen Reisegruppe verschwinden kann.

2. Geld haben will dennoch gelernt sein. Mir fehlt definitiv die finanzielle Biographie, um beim Bestellen, Trinkgeld, beim Parkplatzwächter selbstbewusst zu performen.

3. Sehr viel Geld kann auch zu absurden Vergnügungen führen. So badete ich tatsächlich in einem Pool, in dem Gerbera schwammen. Das war lustig und ein wenig lächerlich und für Rosen wäre ich empfänglicher gewesen. Aber am Ende des Tages ist vieles dann eben doch eine Soap Opera ohne billigen Vorspann.

4. Luxus allerdings ist herrlich. Wir haben ihn so genossen!

5. Was Luxus ist? Hier waren es „Raum“ und „Sorgfalt“. Alle haben genug Platz. Für alle ist genug da. Der Frühstücksguglhupf mag keine Haute Cuisine sein, aber er ist sorgfältig hergestellt, auf den Punkt gebacken. Jemand hat die Zeit investiert, diesen Gugelhupf (und vieles mehr) perfekt vorzubereiten. Insofern ist Luxus auch „Zeit“.

6. Wenn ich also die Hälfte meines Krams aussortieren und die Hälfte meiner Zeit in Ordnung, Sauberkeit und gutes Essen investieren würde, hätte ich den wesentlichen Luxus in meinen Alltag integriert. Leider stört mich dabei meine Arbeit.

7. Luxus bleibt Menschen verwehrt, die sich keine Zeit von anderen Menschen kaufen können. Fazit: Wir müssen Zeit klauen!

Randnotizen IV

Ein langes Wochenende ist rum – mal wieder Zeit für ein paar Notizen aus meinem Alltag. Dieses Mal mit vielen Arztgesprächen, obwohl ich gar nicht krank war, einem philosophischem Gespräch in kindlichen Begriffen und meditativen Aufenthalten an einer Baustelle. Das Beitragsbild zeigt einmal mehr meine Pinnwand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Den Gutschein kann ich vermutlich nicht mehr einlösen, oder?

Ich bin mit dem Sohn auf dem Spielplatz. Er spricht neuerdings sehr viel. Gerade hat es eine vertrocknete Pflanze entdeckt und zerrt daran.
– Mama, Mama!
+ Das ist eine Pflanze. Die ist tot.
– Fanze. Fanze dit. Dit!
Es ist das erste Mal, dass ich höre, dass mein Kind das Wort „tot“ ausspricht. Ich merke, wie er prüft, was das neue Wort bedeuten könnte. Wieviele philosophische Denkschulen habe ich mit meinen sieben Wörtern jetzt umgesetzt oder nicht umgesetzt?

Arztgespräche

Arztgespräch I: Mit meinem Sohn unterwegs: Der Gehweg ist ein Stehweg. Er fummelt also an einem Zaun rum, ich warte mütterlich-geduldig-resigniert-die Sonne genießend. Eine junge Frau kommt mir entgegen, schiebt ihr Rad mit Kindersitz, lebhaft telefonierend. Sie kommt mir bekannt vor. „Klar, ich mach das gerne! Operieren, das kann ja jeder Handwerker…“ Klar, das ist meine Orthopädin!

Arztgespräch II: Ich werde noch eine Weile vor diesem Zaun stehen, und deshalb schweife ich ab, zu einem anderen Arztgespräch – schwanger (noch geheim) stand ich am Burgermeister und zog mir Pommes rein (nur das ging). Am Nebenstehtisch wieder eine lebhafte junge Frau, offenbar vom Klinikum Borna (bekannt für einen sehr bedürfnisorientierten Stil im Kreißsaal): Wassergeburt sei doch eklig, da sträube sich ja schon alles in ihr dagegen, ein Kind in dieses verkeimte Wasser zu kriegen. Sie stünde den ganzen Tag im OP, ja, Kaiserschnitte. Ja, unter der Haut sei so eine weiße Schicht, die man dann so mit den Fingern auseinander zöge, aber schneiden müsse man natürlich trotzdem. Und so weiter. Ach, denke ich, wäre es nicht schön, wenn ich nicht wüsste, wie über das, was mir möglicherweise bevorsteht gesprochen wird?

Achtsames baggern

Um eine Straße vom Asphalt zu befreien, muss man mit einem Bagger zuerst behutsam die Versiegelung aufknacken, was sehr genaue und sensible Bewegungen des Steuerknüppels erfordert. Anschließend schiebt man die Kante der Schaufel des Fahrzeugs sorgfältig unter die Asphaltschicht und hebt diese leicht an, so dass sie sich hochwölbt und im Idealfall auf einer Länge von 1-2 Metern abbricht. Die so entstehende Platte lässt sich nun mit viel Geschick nochmal zusammen falten, so dass sie in der Mitte bricht. Solchermaßen „handlich“ geformte Stücke können nun leicht abtransportiert werden.

Um sich dieses Wissen anzueigenen, muss eine Theaterwissenschaftlerin lediglich Mutter werden.

Edit: In einer früheren Version dieses Textes war von einem Radlader die Rede. Inzwischen (und nach mehreren Monaten intensiver Bautätigkeit auf der Karl-Liebknecht-Straße) kenne ich den Unterschied zwischen Radladern und Baggern. Natürlich habe ich den Sachfehler im obigen Text daraufhin sofort (nach ca. 2 Monaten) behoben. Man muss natürlich einen Bagger benützen!

Im letzten Jahr geliebt: Kinderbücher

„Im letzten Jahr gelernt“ – mit einer langen Aufzählung beendete ich vor einem Jahr hier auf dem Blog meine Elternzeit. Geblieben ist die Lust darauf, häufiger zu würdigen, was für tolle künstlerische Werke oder Orte ich dank des Mutter-Seins jetzt entdecken kann. Deshalb hier meine Lieblingskinderbücher aus dem letzten Jahr – keine Geheimtipps, sondern eine persönliche Zusammenstellung der Bücher, die mir (ja, mir!) im letzten Jahr am meisten Spaß gemacht haben.

An erster Stelle: Wimmelbücher

Dazu gehören ganz vorne die „Wimmelbücher“ von Rotraut Susanne Berner – das Herbst-Wimmelbuch musste ich phasenweise 1 Stunde am Tag akribisch durcharbeiten, mit Tiergeräuschen und allem. Die Welt von Wimmlingen ist unglaublich reich, Personen, Tiere und Geschichten werden über mehrere Bände immer wieder aufgegriffen und entwickeln sich weiter (Kinder werden geboren, Baustellen werden zu Häusern…), wie das Leben eben so ist. Und das Beste: Der Humor. Wenn die Nonne für den Laternenumzug extra eine Pinguinlaterne besorgt, dann macht das Gesamtbild einfach Spaß.

Das Wimmelbuch an sich ist allerdings längst als Marketing-Instrument entdeckt worden, und somit haben wir hier einiges an Literatur angesammelt. Hervorheben möchte ich die Ausgabe des Zoos Leipzig: Ausnahmsweise einfach dafür dass sie meinen politischen Ansprüchen genügt. Kinderbücher sind natürlich eine Kunstform und kein Erziehungsmaterial. Doch gerade weil der Zoo Leipzig eben in Sachsen liegt ist es ein Statement, dass hier Kinder aller Hautfarben, Kinder mit Behinderungen, Väter und Mütter in der Betreuungsrolle etc. völlig selbstverständlich ihre Abenteuer erleben. Zum Vergleich: Im „Leipzig Wimmelbuch“ kommen Frauen im Porsche-Werk nur auf der Besucher_innenebene vor (zusammen mit Kindern), schwarze Menschen sind praktisch nicht sichtbar usw. Dies dürfte den hiesigen Erwartungen im Großen und Ganzen entsprechen. Schön, dass der Zoo das anders macht!

„Das kenn ich schon!“ – ein famoses Bildwörterbuch von Moni Port. Gekauft habe ich es, weil ich den Prozess der Kategorienbildung im Spracherwerb so spannend finde. So hatte mein Neffe zeitweise ein Wort für alles, was cool ist und sich bewegt: also Tiere und Busse. Moni Port bedient in ihrem Buch die klassischen Kategorien, bricht aber auch immer wieder aus, wenn das Kuscheltier den Tieren zugeordnet wird und der alte Schuh der Natur – denn da wurde er schließlich gefunden. Ein großer Fan bin ich natürlich von der Kategorie NEIN!

Erste Geschichten

Die Geschichte „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ – die habe ich mir schon im Studium gekauft. Gute Literatur über Kacke, da muss man doch zugreifen. Wunderbar, die spannenden Teile der Geschichte mit der Beschreibung weicher, duftiger Tatsachen immer in Klammern zu setzen. Tatsächlich die erste Geschichte, die mein Sohn sich von Anfang bis Ende vorlesen ließ.

Die zweite war natürlich „Die kleine Raupe Nimmersatt“, oder wie es hier liebevoll genannt wird: „Raupesatt“. Kennt jeder: DIE Geschichte einer Metamorphose, wunderschöne Bilder, Löcher zum Finger reinpieken. Das Lieblingsbuch von George W. Bush. Somit wissen wir, dass er wenigstens ein gutes Buch gelesen hat.

Gut bebildert

Unzerreißbar, nicht mit Wasser aufzuweichen, extrem leicht – das Material war der Grund dafür, dass ich „Kunterbunt, na und“ von Guido van Genechten gekauft habe. Sehr praktisch, wenn Bücher auch gern als Nachspeise umgenutzt werden! Die Illustrationen sind allerdings einfach und trotzdem doppelbödig: Alle Krokodile haben eine Farbe, nur eins ist anders… Erst nach zig Durchgängen habe ich bemerkt, dass sich die Tiere nicht nur in puncto Farbe unterscheiden, sondern es auch immer noch andere Details gibt, so dass plötzlich ein ganz anderes Exemplar aus der Reihe tanzt. Echt gut gemacht!

Das Möge-Buch – so nennen wir „Ich mag“ von Constanze von Kitzing. Aus der Stadtbibliothek spontan herausgegriffen war es ein großer Erfolg. Die Struktur ist einfach: Ein Kind sagt, was es mag, auf der nächsten Seite genießt es genau das. „Ich mag den Regen!“ – „Ich mag kleine Sachen!“ – „Ich mag Baustellen!“ Mein Sohn kann es schon jetzt komplett „vorlesen“. Bilder und Ideen sind ein echter Genuss: So schön! So viel Tiefe! So viel Humor! Mein Highlight ist natürlich der Junge, der es mag, nachzudenken: bewegungslos mit angedeutetem Augenrollen. Das mag ich auch.

Ebenfalls aus der Stadtbibliothek kommt „Kleiner Bruder, großer Bruder“ von Inka Friese und Elena Shumilova, das ich einfach nur für mich mitgenommen habe. Es ist selten, dass eine Geschichte mit Fotos illustriert wird, und diese hier sind so idyllisch, dass ich sofort hineinschlüpfen möchte. Ein wenig beobachte ich an mir auch die Tendenz, die Geschichte als kitschig abzutun; doch das ist unfair. Sie erzählt von zwei, bald drei Brüdern, von großer Verlustangst und Trauer in einem Klima von Geborgenheit. Solche Geschichten könnten wir alle öfter brauchen.

…und was zum Singen!

Und zum Abschluss noch ein Kracher: „Das kleine Kinderliederbuch“ (gesammelt von Anne Diekmann). Das haben schon mein Bruder und ich zerfleddert, und es macht großen Spaß, die Lieder laut und falsch zu schmettern und die deftigen Bilder von Tomi Ungerer zu bestaunen (Brüste, Blut, „Kind Popo?“-alles dabei). Wir sollten alle öfter singen, oder?

Das waren sie, meine Highlights. Über Tipps freue ich mich sehr. Und wenn ihr in Leipzig wohnt: Geht alle in die Buchhandlung Serifee. Da sehen wir uns dann!

PS: Da ich weder von Serifee, noch von irgendeinem Verlag Geld für diesen Post bekommen habe, dürft ihr euch die Verlagsinformationen im Zweifel selbst raussuchen. Aber das lohnt sich!

Randnotizen III

Ein paar Notizen aus meinem Alltag – für mich als Materialsammlung, für euch, falls es interessiert. Dieses Mal mit einem Fall von unfreiwilligem Stalking, einem unverhofften Zusammentreffen mit der Polizei abseits ihrer Komfortzone und dem unangenehmen Gefühl, die Freiheit der Kunst im eigenen Kopf durchzusetzen. Das Beitragsbild zeigt mal wieder meine Pinnwand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Was machen!

8:15 Uhr, der Sohn und ich verlassen das Haus. Auf der anderen Straßenseite arbeitet eine Frau mit einem Laubbläser – der Sohn ist fasziniert. Wir beobachten sie ein Weilchen und ziehen dann weiter in Richtung Tagesmutter.
8:45 Uhr, ich kehre allein zurück. Die Frau kommt mir mit dem Laubbläser entgegen, sie lächelt freundlich. Ich lächle zurück und sage ohne lange nachzudenken: „Mein Sohn ist Fan von Ihnen!“ „Ach ja?“, fragt sie. „Ja, wir haben Sie kurz beobachtet, nehmen Sie’s nicht persönlich!“, antworte ich und verschwinde im Haus.
ratterratter, klickklick, denkdenk… NEEEEIN! Erst im Haus fällt mir auf, dass ich vielleicht hätte erwähnen sollen, dass mein Sohn erst anderthalb Jahre alt ist.
Liebe freundliche Dame der Stadtreinigung, wir sind keine Stalker, haben keine Fotos gemacht und ich werde Sie nie wieder ansprechen!

Besetzung aufgegeben!

Ich warte auf eine Besprechung im Conne Island. Es ist herbstlich, die Füße werden kalt, im Hintergrund zieht ein Skater seine Kreise. Plötzlich öffnet sich die mit Aufklebern übersäte Tür. Drei ältere Polizisten in Ausgehuniform treten heraus: „Wir geben die Besetzung auf!“, lachen und verlassen das Gelände. Später erfahre ich, dass einer von ihnen Bernd Merbitz (Polizeipräsident Leipzig) ist.

Seit einigen Wochen nehme ich an einer Seniorensportgruppe teil. So nehme ich das jedenfalls wahr, natürlich ist es in Wirklichkeit Reha-Sport (für mein Handgelenk, egal). Aber alle sind wirklich viiiiiiel älter als ich. Sie haben weißes Haar, reden in der Umkleide von „der Pflege“ und „Schicksalsschlägen“. Eine untrennbare Masse Senioren. So meine Wahrnehmung. Im Gespräch mit einer der Damen höre ich allerdings heraus: Sie nimmt die Altersspanne des Kurses deutlich breiter wahr. Heute gelernt: Ich bin „ab 60 blind“.

Weihnachtsmarkt. Ich habe eine Mission: Einen Forum frei-Karton entsorgen. Auf dem steht „Ergebnis: Ziegen gefressen, dumm geschaut und wieder um Hilfe gerufen“. Es ist mir peinlich. So peinlich! Und überall Betonquader gegen Terroristen, auf die jemand „Danke, Merkel“ gesprüht hat. Überall Polizei. Leute gucken misstrauisch. Ich stelle den Karton ab, mache mein Foto und verschwinde. Die Freiheit der Kunst beginnt wohl im Kopf?

Immer das Geld.

Neulich fand ich beim Spaziergang mit dem Sohn 10 Pesos. Wir bewunderten die goldene Münze, steckten sie zum Spielen ein, und ich war nur ganz kurz enttäuscht, dass es kein „echtes“ Geld war. Und dabei wurde mir das mal wieder klar: Wie viel ich in letzter Zeit über Geld rede. Über Geld, das habe ich 2017 gelernt, redet man nämlich vor allem dann, wenn man keines hat.

Freiheit in der Freiberuflichkeit

Ich liebe die Freiheiten, die mir die Freiberuflichkeit manchmal bietet: Vor allem die Chance, mir selbst Projekte auszudenken. Wie oft höre ich andere Menschen bitterlich klagen: über idiotisch konstruierte Programme, Ressourcen-fressende Organisationsstrukturen und inhaltlich verfehlte Entscheidungen von „oben“. Großartige Kolleg_innen verschleißen sich in Dienstreiseanträgen und Routine-Aufgaben. Man würde gern soviel anders machen, und es geht nicht. Nicht. Nicht. Nicht.

All dem versuche ich mich durch die Freiberuflichkeit zu entziehen, und das war mir lange eine Menge Geld wert. Wie ich schon in meinem ersten Artikel hier auf diesem Blog schrieb: Ich bin immerhin ein bisschen frei.
Natürlich musst auch ich mich an die Logik von Fördermittelvergabe und Vernetzungsstrategien anpassen. Natürlich siebe auch ich inzwischen meine Ideen ganz automatisch und überlege, ob sie förderfähig sind, bevor ich viel Zeit investiere. Natürlich muss auch ich immer wieder Mitstreiter_innen finden. Und Kooperationen mit Institutionen sind auch nicht immer leicht, wenn man allein auf der anderen Seite steht. Aber meinen Tagesablauf bestimme ich selbst, und dazu gehört eben auch, die freie Wahl zu haben, ob ich für ein bestimmtes Projekt MEHR mache. Mit dem Geld kam ich in der Vergangenheit irgendwie hin, es reichte und ich hatte Spaß. Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung sind siamesische Zwillinge, das wissen alle in der Branche.

Zurück aus der Elternzeit

Diese Freiheit hat sich verändert. Man weiß es ja irgendwie, aber es ist doch heftig: Aus der Elternzeit zurückkommen und sich umstellen. Plötzlich schlagen die Risiko-Faktoren der Freiberuflichkeit härter zu:
1. Faire Bezahlung: Ich achte darauf, dass meine Projektstunden einigermaßen fair bezahlt werden – unter bestimmte Grenzen gehe ich nicht und wünsche mir das auch von meinen Kolleg_innen. Was aber ist mit den vielen Arbeitsstunden, die einfach nie vergütet werden: Für Antragstellung (und hundertfache Überarbeitung, die Feedbackrunden nehmen da ja manchmal kein Ende), Vor- und Nachbereitung, Verwaltung etc.? Aus meiner Sicht das größte Problem.
2. Krankheit: Krank werden sollte man nicht – ich bin auch schon mit verstauchtem Fuß über vereiste Straßen zur Probe gehinkt. Stundenausfall wird nicht bezahlt. Aber ich war ja gesund! Nun allerdings wollen auch noch die Infekte des Sohns versorgt werden. Bleibe ich zwei Tage zu Hause, bekomme ich von der Krankenkasse 20€. Und war gegebenenfalls aus Auftraggeber_innensicht unzuverlässig. Yay.
3. Zeit für Vernetzung: Die Zeit ist knapp, viele Gelegenheiten, potentielle Kooperationspartner_innen zu treffen verstreichen. Im Zweifel, weil ich eine Deadline schaffen muss. Oder weil ich jetzt eben einfach ein Familie habe.

Während die Kolleg_innen um mich herum allerdings immer betriebsamer auf mich wirken, muss ich mir selbst eingestehen, dass ich doch die Schlimmste von allem geworden bin: 2017 habe ich gearbeitet wie verrückt.

Gearbeitet wie verrückt

Ich habe Wochenendarbeit mit Kind auf dem Rücken, Abendarbeit mit Kind neben mir im Bett, Teamrunde mit Kind und Spielzeug in der Mitte und telefonisches Bewerbungsgespräch mit Kind das Gegenstände durchs Badezimmer wirft erlebt (doch, den Auftrag habe ich bekommen). Mit juckenden geschwollenen Händen (Hand, Mund, Fuß, ja, zu Hause kommen die tollsten Keime an) habe ich eine Bewerbung getippt und bin 10 Tage später mit sich schuppenden, verheilenden Händen zum Bewerbungsgespräch gefahren. In der schlimmen Norovirus-Nacht habe ich meinen Sohn gehalten, am nächsten Morgen habe ich geduscht, meine Hände mit Sterilium Virugard behandelt und bin in die Nachbarstadt gefahren – wichtige Termine. Und in manchen Monaten habe ich mit all dem 300 € verdient.

So war es doch immer schon…

Andere Eltern werden abwinken: „so war es bei uns doch immer schon!“ – oder entsetzt sein: „such dir doch eine Stelle“ – ich persönlich bin wütend. Dass mein Engagement so wenig wert sein soll. Die meisten meiner Aufträge werden schließlich streng geprüft, und anders als bei so liederlichen Vorhaben wie einem Flughafen oder einem S-Bahntunnel darf ich mich niemals verkalkulieren – auch nicht um nur 50 €. Falls ich jemals den Kleinunternehmerinnen-Status verliere (also mehr als 17500 € jährlich verdiene), werde ich auch saftig Umsatzsteuer abführen müssen, die ich mangels Ausgaben nicht wieder reinholen können werde. Es lohnt sich also noch nicht einmal für mich, irgendeinen Wunderauftrag zu generieren, der mich finanziell so richtig schön ausstattet. Und schließlich arbeite ich hauptsächlich mit gesellschaftlich relevanten Gruppen (Kinder, Jugendliche, Geflüchtete etc.), deren Wichtigkeit immer wieder betont wird. Und die man gern mit billigen Honorarkräften preiswert versorgt. Oder genauer: Die unser Staat mit seiner demokratisch gewählten Regierung und seinem Steueraufkommen gern preiswert mit sich selbst ausbeutenden Honorarkräften versorgt. Die der Institution das unternehmerische Risiko abnehmen und von dem Lohn noch nicht einmal ein (!) Kind ernähren können.

Und das betrifft nicht nur Künstler_innen: Der freie Bildungssektor, die Reinigungsfachkräfte, Übersetzer_innen und und und. Einzelunternehmer_innen sind billig. Vor allem, weil man nicht jede Stunde bezahlen muss.

Ich wiederhole mich: Ich war immer gerne frei. Freiheit heißt inzwischen auch, dass ich meinen Teil zum Familieneinkommen beitragen kann. 2018 hat gerade erst begonnen, und ich bin auf der Suche: Nach einer neuen Strategie. Vorschläge sind sehr willkommen.

Randnotizen II

Ein paar Notizen aus meinem Alltag – für mich als Materialsammlung, für euch, falls es interessiert. Dieses Mal mit viel bzw. wenig Medienkompetenz, Erziehungstipps direkt aus der Hölle und einer unangenehm belustigten Bäckereifachverkäuferin.

Als erstes die Erklärung zum Beitragsbild: Beim Putzen höre ich manchmal „50 Shades of Grey II“. Weil es da ist. Und ich Trash manchmal ganz nett finde. Und überhaupt – egal. Die Stelle mit dem iPad erklärt allerdings ganz gut, warum Mädchen nicht in MINT-Berufen landen, finde ich. Hab’s mal korrigiert.

erziehungstipps aus dem zoo

Zoo, Himalaya-Gebirge, Sohn tapst fasziniert auf kleinen Jungen zu. Sein Mund nähert sich dessen Arm, und weil er manchmal beißt, frage ich das andere Kind, ob alles in Ordnung ist. Es ist alles in Ordnung. Die Oma kommt dazu, will wissen was und überhaupt. Ach, der beißt? Ja, das habe sie von einer Pädagogin, irgendwann helfe da nichts mehr, da müsse man dem Kind einmal auf den Mund schlagen.

Suche Nebenjob, aus Gründen. Bewerbungsgespräch „Datenverarbeitung“, der Chef spricht von „Kunden“, die sich nicht mit Finanzen auskennen, und Beratungen, die seine Firma durchführe. Also potentiell auch ich. Ich frage nach – die Kunden zahlen also für die Beratung? Nein, das übernähmen die Unternehmen, deren Produkte man in der Beratung vermittele. Und die Bezahlung ist dann auf Provision? Ja, ganz recht. Ich lächle höflich, seit wir Familienfinanzen haben, sprechen wir derlei Entscheidungen ab. Mein Partner reagiert auf die beste Weise der Welt: Das machst du NICHT!

Digitalisierung verschlafen

Mittagschlaf. Ja, das Kind schläft. Ich fange an, dösig zu werden. Da klingelt es! Vor der Tür stehen zwei Jungs, gekleidet in das, was ich als H&M-junge Business-Mode bezeichnen würde, Hornbrillen, Akte in der Hand, wahrscheinlich halb so alt wie ich. Ich blinzle. Ja, man sei von der Telekom, ob denn unser Internet in letzter Zeit funktionieren würde, ich muss sehr müde wirken, die Frage wird spezifiziert, ob ich denn das Internet nutzen würde. Denk. Denk. Gibt es denn noch Haushalte, die das Internet nicht nutzen?, frage ich. Ja, das gäbe es schon, aber ob wir denn überhaupt bei der Telekom wären… ich behaupte, dass ich das nicht wisse, weil ich gerade auch gar nichts mehr weiß und nur auf das ordentliche Hemd und die Hornbrille starre. Der Junge fragt, ob wir denn Post erhalten hätten. Beim Wort Post malt er tatsächlich mit beiden Zeigefingern ein Viereck in die Luft. Er. Malt. Ein. Viereck. In. Die. Luft!

Es ist 17:59 Uhr, um 18 Uhr macht die Bäckerei zu und ich habe es noch geschafft. Das letzte Brot habe ich schon unterm Arm, da sehe ich noch eine Tüte Mini-Brötchen, die echt lecker aussehen. Was die kosten, frage ich – Ja, die kosten 88 Cent!, schallt es zurück. 88 Cent? Das ist ja ein komischer Preis, denke ich befremdet, höre ich mich sagen. Die Bäckereifachverkäuferin lacht laut, ja, da könne sie nichts dafür, die Preise würden „oben“ gemacht. Offensichtlich ist das allerdings besonders lustig. Ich kaufe die Brötchen nicht. Niemand hat auch nur ein Wörtchen über das Symbol 88 gesagt. Bin ich zu empfindlich? Ihr sofortiger Hinweis, sie trage keine Verantwortung und die Tatsache, dass sie darüber so sehr gelacht hat waren mir richtig unangenehm.