Beruflich, so heißt es immer, ist die Elternzeit verlorene Zeit. Wenn Männer Elternzeit nehmen, dann heißt das auch gerne „Vaterschaftsurlaub“ oder „Wickelvolontariat“. Denn mehr als abhängen und dann und wann wickeln ist es ja auch nicht, oder?
Ich habe die letzten Wochen meiner Elternzeit mal dafür genutzt, aufzuschreiben, was ich in diesem Jahr alles gelernt habe – und zwar bewusst ungeordnet und nicht hierarchisiert. Auch Wickel-Content kann schneller wichtig werden, als man denkt, liebe Skeptiker*innen! Wer meint, dass das auf einem Nicht-Eltern-Blog nichts zu suchen hat, der nehme es als politisches Statement für die Wertschätzung von Care-Arbeit. Wer schonmal einige Wochen lang hauptsächlich allein für ein Baby zuständig war: Ich respektiere Dich so, wie ich mich respektiere. Und da hätten wir doch schonmal…
- Großen Respekt für alle, die für andere sorgen.
- Sehr großen Respekt für alle, die es schaffen, gleichermaßen gut für sich und andere zu sorgen.
- Wenn Kinder nerven, gibt es immer einen Grund dafür.
- Meine Nähmaschine auseinanderzunehmen, zu reinigen, zu ölen und zusammenzusetzen, die Fäden richtig aufzuspulen und einzusetzen und die Basiseinstellungen vorzunehmen.
- Nähen.
- Trockenfilzen.
- Liegend wickeln.
- Stehend wickeln.
- Sitzend und strampelnd auf meinem Schoß wickeln. (Die Position beschreibt jeweils das Kind!)
- Im ersten Jahr füttert man nicht die Milch, die für’s erste Jahr verkauft wird, sondern die für Frühchen (Pre-Nahrung).
- Wenn das Baby gestillt wird, riecht es besser als mit Kunstmilch.
- Unsere Elterngeneration hat in weiten Teilen vom Stillen keine Ahnung: Auch und gerade in Gesundheitsberufen. Man sollte sich unbedingt schlau machen.
- Ähnliches gilt für Babyschlaf.
- Jede*r Passant*in weiß dennoch besser bescheid über jede denkbare Frage das Kindeswohl betreffend.
- Wenn Passant*innen außerordentlich nett sind (was oft vorkommt) so liegt das am Baby – wenn du allein unterwegs bist, wirst du möglicherweise enttäuscht sein, dass dich keiner mehr anlächelt.
- Gib deinem Kind niemals Zucker, der stammt vom Teufel ab! Gib ihm Homöopathie!
- Hebamme ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf, dementsprechend sind viele Hebammen supercoole Frauen. Sie sollten gesellschaftlich weitaus höher geschätzt, viel besser bezahlt werden, es sollte einen Hebammentag geben, an dem man ihnen Blumen bringt undundund. Das ist mir sehr ernst.
- Ein tiefer Bauchschnitt schwächt einen extrem. Es ist sehr irritierend, wie schnell es danach dann doch besser geht.
- Babies sollte man nicht einölen, sondern eincremen.
- Tragetücher binden lernt man mit Spiegel und youtube.
- Unterordnung. Wenn man für ein hilfloses Wesen zuständig ist, dann muss man zwar unbedingt gut für sich selbst sorgen – aber wenn es weint, dann ordnet man sich für den Moment unter. Es ist dann nicht so wichtig, was auf Facebook gerade –
- Prioritäten setzen. Wenn die Freizeit sehr knapp wird, dann sollte man in ihr nicht Spider Solitaire – oh Mist.
- Auf Abruf sein – immer. Und entscheiden, für wen oder was man das sein will. Tipp: Für das Kind auf jeden Fall.
- Es gibt witzige und politische Elternblogs, z.B. Die Mulke-Protokolle, Vierpluseins, Kaiserinnenreich etc.
- Kackflecken gehen mit Gallseife raus.
- Die Welt ist nicht barrierefrei. Deshalb nervt der Kinderwagen.
- Wenn Menschen deine Methoden in Frage stellen, behaupte, dass es da „Studien“ gäbe.
- Meide Menschen, die dir nicht gut tun.
- Wundcreme immer richtig schön dick auftragen.
- Nägel schneiden, wenn das Baby schläft.
- Heilwolle fliegt nur rum.
- Stoffwindeln nicht in den Wäschetrockner.
- Ansonsten: Umarme den Wäschetrockner!
- Ein Nasenabsauger ist eklig aber geil.
- Sich vom Wohlwollen anderer absolut abhängig zu fühlen ist scheiße. Das habe ich während der Geburt erlebt. Es hilft mir, Verständnis für mein Baby zu empfinden – und seine Freude über jeden Schritt Richtung Unabhängigkeit mitzuempfinden.
- Treppe und Steckdosen sollte man aber im Blick haben. Und Ofentür. Besteck. Scheren. Kerzen. Klobürste. ERINNERUNG: FREUDE! ÜBER! ALLE! FORTSCHRITTE!
- Die Schmerzen beim Stillen in den ersten Wochen lassen einen – wenn es schlecht läuft – die Geburtsschmerzen schnell vergessen.
- Stillen im Wiegegriff.
- Stillen im Liegen.
- Stillen mit Kind auf dem Arm.
- Stillen während das Kind auf mir herumklettert.
- Stillen in der Öffentlichkeit, ohne dass jeder meine Brust sieht.
- Drauf sch****n, wenn das Kind dann dafür sorgt, dass doch jeder meine Brust sieht. #bodypositive!
- Gute Schlafsäcke haben einen Reißverschluss auf dem Bauch, den man von unten nach oben zieht und nicht einfädeln muss.
- Die besten Tage sind die, wo man keine Termine hat: Go with the flow. Erspart viele Konflikte.
- Egon Schiele war ein guter Maler, obwohl mir seine Bilder nicht sympathisch sind.
- Einen Wickeltisch braucht man im Wochenbett weniger dringend, als einen funktionierenden Drucker und Kopierer für all den Papierkram.
- Ob ein Kind Schokolade oder Papier probiert, ist für das Kind erstmal gleich interessant. Alles wird probiert, wenn es auf dem Boden liegt.
- Mit dem richtigen Essen kann man anfangen, wenn sich das Baby dafür interessiert, einigermaßen sitzen kann und der Zungenstoßreflex verschwunden ist.
- In der Wanne immer zuerst das Gesicht waschen, weil das Kind ins Wasser pinkeln könnte, und man dann den Waschlappen möglicherweise in Urin taucht, bevor man wäscht, und das will man ja nicht im Gesicht haben…
- …und einige Monate später nicht daran denken, wenn das Kind fröhlich umherplanscht und Wasser aus dem Waschlappen saugt.
- Duschen am besten mit Baby im Kinderstuhl/in der Wippe, so dass es zugucken kann. Nicht zu weit weg, damit man stetig neues Spielzeug anreichen kann. Oder lustige Sachen machen. Duschen nicht vergessen.
- Babies bekommen in Deutschland als erstes eine Steuernummer. Diese gilt ihr Leben lang.
- Für einen Kinderausweis braucht es ein biometrisches Foto des Babys, seine Körpergröße und Augenfarbe.
- Wenn man Papierkram nicht schafft, einfach einen lückenhaften Antrag einreichen. Dann ist dieser wenigstens fristgerecht gestellt.
- Alpenveilchen sind nicht giftig.
- Russischer Wein ist nicht giftig.
- Manche Arten Zyperngras sind sogar essbar.
- In Honig und Ahornsirup können Krankheitserreger leben.
- Dasselbe gilt für gefiltertes Wasser.
- Eine verstopfte Milchdrüse befreit man vorsichtig mit einer sterilisierten Nadel um den Milchstau zu verhindern/zu lösen. Bzw. Ärzt*innen tun das.
- Eine Milchdrüse kann verstopfen.
- Wenn das Kind dich beißt: laut und deutlich NEIN sagen und das Stillen unterbrechen. Das ist die offizielle Methode.
- Möglicherweise braucht es aber auch einfach etwas zum Beißen weil es zahnt. Dann etwas anreichen, was kein Schmerzempfinden kennt (Beißring, Schlüsselbund…)
- Und mir ist ein Fall bekannt, wo die Mutter zurückgebissen hat. Damit war das Thema in dieser Familie für immer erledigt.
- Duftgeranien sind nicht giftig.
- Alles mit Inhaltsstoffen, die man nicht kennt, einfach mal nicht essen. Und kein Zucker/Weißmehl. Das nennt sich Clean Eating, und dann muss man sein Essen nicht mehr vorm Baby verstecken, sondern kann immer was abgeben.
- Gegen Masern wird mit einem Jahr geimpft.
- Es gibt Schlossverlängerungen für Fahrradschlösser.
- Ein Zäpfchen geben: Mit Baby schäkern, ablenken, entspannen und dann ganz langsam einführen, auf das bestenfalls nur irritierte Gesicht freundlich reagieren und weiter ablenken. Dann ist alles gut. Gelingt nicht immer.
- Spiren sind nicht giftig.
- Ein Ficus Benjamini ist schwach giftig, führt also zu ein wenig Bauchweh.
- Über Schwangerschaften von Diabetikerinnen hat Prof. Otto Bellheim schon 1975 veröffentlicht. Sieben Jahre, bevor er mich auf die Welt begleitet hat.
- Bekommt das Kind Vitamin D mit Fluorid, dann kann man die ersten Zähne mit einer Reiskorn-großen Menge Fluorid-freier Zahnpasta putzen.
- „Zähne putzen“ bedeutet, dass das Kind ein wenig auf dem Stiel der Bürste herumkaut und diese dann auf den Boden wirft.
- Einen Staubsaugerroboter muss man regelmäßig reinigen. Das macht aber weniger Arbeit, als die Wohnung zu reinigen.
- Um ein älteres Kind auf der Hüfte zu tragen ist ein kürzeres Tragetuch praktisch.
- Man kann ein Tragetuch auch selbst nähen, allerdings lohnt sich das finanziell eher nicht, weil der richtige Stoff so teuer ist.
- Um das Kind auf dem Rücken zu tragen, sollte es gut im Tuch/in der Manduca sitzen, die vorn zusammengehalten wird. Dann nach hinten auf den Rücken schwingen.
- Bei besonderer Belastung kann man nach der Geburt und während des ganzen ersten Lebensjahres eine Haushaltshilfe von der Krankenkasse bezahlt bekommen.
- Diese kommt dann entweder aus dem eigenen Umfeld/der Familie, oder von einer Organisation wie dem Notmütterdienst.
- Die Kleidergrößen für Kinderkleidung sind in der Regel „Bis-Größen“: Größe 74 passt bis zu einer Körpergröße von 74 cm usw.
- Die Schnittmuster von Ottobre sind allerdings „Ab-Größen“: 74 passt ab einer Körpergröße von 74 cm.
- Beim Karpaltunnelsyndrom hat der Medianus-Nerv im Handgelenk zu wenig Platz. Eine Armschiene kann helfen, das Gelenk gerade zu halten. Wenn das nicht hilft, muss operiert werden.
- Filzwolle läuft nach dem Stricken/Häkeln in der Waschmaschine um ca. 1/4 ein.
- Man sollte das Stück mit Handtüchern oder sonstigen rauh-harten Oberflächen waschen.
- Alle Kleinkinder sollen dauernd Vitamin D nehmen. Dieses gibt es als Tabletten und als Öl.
- Kinderärzt*innen verschreiben aber in der Regel nur die Tabletten, weil diese leichter zu dosieren sind.
- Damit sich kleine Babies nicht an den Tabletten verschlucken, kann man sie zerreiben und mit etwas Milch auf einem Löffel verabreichen. Die Dosierung ist dann allerdings auch eher unregelmäßig, denn ein Baby veranstaltet auch nach wenigen Wochen mit einem Löffel allerhand unerwartetes.
- Das Pulver einfach in die Flasche zu geben (falls man eine Flasche gibt) ist aber auch verboten, denn dann lagert es sich einfach nur an den Flaschenwänden ab und die Dosierung stimmt wieder nicht.
- Vitamin D wird auch über Sonnenlicht aufgenommen.
- Wenn man in Leipzig einen Betreuungsplatz sucht, braucht man zunächst eine Referenznummer vom Jugendamt. Dafür muss man ein kurzes Formular ausfüllen. Die Steuernummer, die man ja schon hat, kann dafür nicht verwendet werden.
- In Leipzig werden händeringend Erzieher*innen gesucht.
- Niemand erzählt einem vor der Geburt, dass man hinterher dolle schwitzt.
- Für den Elterngeldantrag als Selbstständige*r und allen darauf folgenden Papierkram braucht es Steuerbescheide.
- Es ist sehr sehr schwierig, nicht über andere Eltern zu urteilen.
- Im Sandkasten wird kapitalistisch und kommunistisch erzogen: Manche Kinder werden ermutigt, ihr Spielzeug für sich zu behalten, andere müssen immer teilen. Kaum ein Kind spielt völlig unkommentiert.
- Es gibt goldene Sprühkreide.
- Die meisten Medikamente sind stillverträglich. Informationen dafür erhält man bei embryotox.
- Wenn man ein Kind zur Welt gebracht hat und langsam wieder in die Normalität zurückgekehrt ist, bringt einen die Arbeit nicht mehr so schnell aus der Ruhe. Der Tiefpunkt liegt eindeutig hinter mir!
- Beim Thema „Kinder“ flippen die Leute aus. Alle.
Was hab ich vergessen? Was habt ihr gelernt? Gibt es auch silberne Sprühkreide? Die Liste darf gern ergänzt werden!
Hebammentag ist am 5.Mai 😉
Das mit den Schlossverlängerungen ist ja cool, das wusste ich nicht. Ansonsten: Willkommen in unserer (Mutter-)Welt! Schön, dass du dabei bist!
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