Methodensammlung: Schöne Schnipsel

Es ist schon eine Weile her, da regte eine Kollegin an, dass ich doch meine selbst entwickelten Methoden mal verschriftlichen und zugänglich machen solle. Ich finde es grundsätzlich schwierig, abzuschätzen, ob ich meine Arbeitsweisen erfunden oder abgewandelt oder abgeguckt habe, denn letztendlich ist immer alles im Fluss. Mit diesem Hinweis versehen lasse ich mir aber gerne in die Karten gucken. Wie zum Beispiel bei dieser Methode:

Name: Schöne Schnipsel

Kern der Sache: Man fertigt aus Schnipseln/altem Zeug/Müll etwas an, was Bedeutung für einen hat, z.B. ein schönes Selbstbildnis.

Ziel: Sich mit dem Unperfekten und Provisorischen (an sich selbst und/oder anderen) spielerisch bis liebevoll beschäftigt und eine echte Wertschätzung dafür entwickelt zu haben.

Abwandlungen: Was angefertigt wird und welche Materialien verwendet werden kann endlos variieren. Es sollte auf jeden Fall etwas mit dem Projekt und den beteiligten Menschen zu tun haben. Es könnte auch das Thema Langeweile behandelt werden, z.B. indem man aus den Steinen an der Bushaltestelle an der man wartet einen ganz besonderen Ort erschafft, der diese Bushaltestelle zum Zentrum des Universums macht… Und so weiter.

Hintergrund: Entwickelt habe ich diese Idee als Methode, ein schönes Selbstbildnis zu erschaffen. Viele Mädchen und Frauen die ich kennenlernen durfte, waren in Bezug auf ihr Äußeres von einem gnadenlosen Perfektionismus, der sie stark hemmte und einschränkte. Durch das Kleben von Schnipseln zu einem lebensgroßen wunderschönen Selbstbildnis entstand die Gelegenheit, sich zu öffnen, darüber ins Gespräch zu kommen und vor allen Dingen Spaß am Unperfekten zu haben. Ich überlege noch immer, wann ich mal endlich so ein Bild von mir mache!
Witzigerweise ist man mit diesem Thema ja nie allein… Kürzlich stieß ich auf diesen Artikel von Andrin von Mom and Art. Da gibt’s also noch mehr Ideen.

Gebt mir gern bescheid – könnt ihr solche Methodenbeschreibungen brauchen? Dann gibt es bald mehr davon…

Schule & Lernen. Ein ungleiches Paar.

@anorakkapuze wies mich unlängst auf diesen Tweet hin – ich sei Pädagogin, was ich also dazu sagen würde:

Puh, dachte ich, sagte ich. Dafür brauche ich ein wenig länger. Bloggen? Bloggen.

Zunächst einmal hätte ich als Schülerin überhaupt keine Lust gehabt, diesen Text auch nur zu lesen, er hätte mich tierisch genervt, evtl. (je nach Alter) beschämt, vielleicht hätte ich ihn als demütigend empfunden. Möglicherweise hätte ich mich auch gefreut, so einfach davonzukommen. Noch etwa 200 weitere Reaktionen sind denkbar.

Zum anderen ist es immer leicht, auf den Lehrkräften herumzuhacken, und in die Falle will ich nun auch nicht gleich mit Anlauf reinspringen. Wenn es Teil des Berufs ist, 30 Kinder dazu zu bringen, an ihre Hefte zu denken – hier endet meine Vorstellungskraft.

Spannend finde ich nun allerdings die Frage, die doch eigentlich in einer Schule Vorrang haben sollte: Was wird gelernt?

Vermutlich, dass ich weniger Stress habe, wenn ich an mein Heft denke, respektive: weniger Schuld, Scham, Ärger, Langeweile. Dass ich mich unter die Regel unterordnen sollte, dass das Mitbringen des Hefts meine Pflicht ist. Und dass ich mich der betreffenden Lehrkraft, die diese Regel hier verkörpert unterordnen sollte.

Nun bin ich in einer Hinsicht eine hoffnungslos faszinierte Person: Fasziniert vom menschlichen Gehirn und Körper, die so hingebungsvoll und genau alles speichern und lernen, was für das Leben des Organsimus relevant ist. Ich beobachte das gerade an meinem Kind: Wie es lernt zu klatschen, zu stehen, Laute zu bilden – alles Dinge, die ihm relevant erscheinen, um mit der Welt in Kontakt zu treten und sie zu erforschen. Lernen bedeutet hier ein ganz unmittelbares Bedürfnis, am Leben teilzunehmen. Das muss ihm keiner „aufgeben“. Wenn das später in der Schule nicht so praktiziert wird, dann wird es dadurch erst möglich, etwas zu vergessen.

Um das zu verdeutlichen: Lehne dich zurück und denke mal kurz darüber nach, wann du zuletzt etwas vergessen hast, was für dich persönlich oder existentiell wichtig war? Mir fällt da für mich nichts ein.

Klar, in meinem Kopf herrscht aktuell diese bräsige Eltern- und Stillzeit-Matsche: Gestern war ich fest davon überzeugt, es sei Dezember, ich habe den Pürierstab angeschmolzen und wie war das mit der Steuer..? Aber ich vergesse nicht, die Windeln zu waschen (Gestank, existentiell), auf welche Bücher ich mich freue, wenn ich wieder Freizeit habe (persönlich) und wie ich eine Mütze nähe (persönlich).

Nun wäre es einfach, sich zurückzulehnen und das Fazit zu ziehen, die Lehrkraft im obigen Fall verstehe es eben nicht, die Kinder für den Stoff zu begeistern. Oder sie dazu zu bringen, sie zu respektieren, denn auch damit hat eine gute Vorbereitung zu tun. (Und diese Vorbereitung ist verdammt nochmal die, das olle Heft einzustecken!)

Dieses Fazit finde ich unfair. Die Lehrkraft hat innerhalb des existierenden Systems „Schule“ einen Weg der Bestrafung gewählt, der letztendlich dieses System außerordentlich gut reflektiert – ohne allerdings daraus die Konsequenz zu ziehen, mit den Kindern das System selbst in Frage zu stellen. Sie benutzt den Text sozusagen „systemstabilisierend“. Wer das System gut findet, muss sich nicht grundsätzlich aufregen.

Mein Problem mit dem System Schule – natürlich habe ich eins – ist eben diese Entkopplung von Lerninteresse und Lernbegriff. So funktionieren wir nicht. Fähigkeiten und Wissen, die wir konkret brauchen, eignen wir uns verblüffend schnell an. Menschen, die wir aufrichtig gern haben, hören wir zu. Dinge, die uns wichtig erscheinen, vergessen wir nicht.

Abschließend eine kleine Anekdote: Vor einigen Jahren arbeitete ich mit einem etwa 15-jährigen Schüler. So wie ich es erlebte, schienen sämtliche Lehrkräfte, seine Eltern und er selbst der Meinung zu sein, dass er „nicht gerne lerne“. Die Noten waren dementsprechend. Er erzählte mir dazu, dass sein Vater ihm nach einer schlechten Note immer das Internet sperre. Ich fragte ihn, was er dann mache? Die Antwort war lässig: „Na ich konfiguriere den Router neu.“ First things first.

Es heißt, man lerne nicht für die Schule, sondern für’s Leben. Für das Gehirn gilt das. Für die Schule leider nicht.