gut sein/gut sein lassen

Ich persönlich interessiere mich nicht so für Terrorismus.

Klar, es könnte passieren, dass ich einem Anschlag zum Opfer falle. Oder dass ich von einem Auto erwischt werde. Dass mir der Himmel auf den Kopf fällt. Dann ist es passiert. Jeden Tag angstvoll den Himmel anstarren werde ich deshalb nicht.

Eine gute Woche liegt der Anschlag vor Berlin nun zurück, inzwischen wurde Weihnachten gefeiert, ich habe gut gegessen, wurde viel zu reich beschenkt und bin einigermaßen über die Ermittlungen und zahlreiche neue (?), gute (??), sehr wichtige (???) Ideen der großen Parteien informiert. Aber das Thema Terrorismus interessiert mich immernoch nicht. Und ich habe auch keine Lust, mich über einen Nachrichtenstrudel dort hineinzusteigern.

Was mich interessiert, das ist Gewalt, in all ihren Ausprägungen – persönlich, gesellschaftlich, zwischen verschiedenen Gruppen, gegenüber einzelnen Menschen. Was mich vor allem interessiert, ist Empathielosigkeit. Das Fehlen der Fähigkeit, mitzufühlen, einen anderen Standpunkt zu erkunden und anzuerkennen, des Wunsches, mit dem Gegenüber fair und anständig umzugehen. Denn in erster Linie ist doch nur eins klar: Dass mir die Opfer und die Angehörigen der Opfer aller terroristischen Anschläge, aber auch anderer Gewalttaten (ob nun kriegerisch oder strukturell oder sonstwie) einfach leid tun. Dass ich das keinem wünsche. Und dass ich ihnen jede Hilfe gönne.

Und so einfach darf es scheinbar nicht sein. Jede neue Nachricht in Verbindung mit dem Berliner Anschlag ist verbunden mit dem Krieg der Timelines. Jede*r findet Fakten, die das eigene Weltbild bestätigen. An den Anschlag in XY denkt wieder niemand – Warum war der Täter noch nicht abgeschoben? – Aber radikalisiert hat er sich doch in Italien – und und und. Manche Meinungen stehen mir näher, manche finde ich persönlich ganz schrecklich. In der Gesamtheit erinnert mich das alles an erbitterte Streitereinen unter Pubertierenden, die letztendlich doch nur ihre eigene Persönlichkeit verteidigen. Leider um den Preis eines politischen Dialogs, der mittlerweile, mit Verlaub, unter aller Sau abläuft.

Ich weiß nicht, ob ich das kann, aber ich möchte gerne: an das Gute im Menschen glauben. Glauben, dass auch jemand mit völlig entgegengesetzten Positionen es grundsätzlich gut mit den Menschen meint. Oder wenigstens mal gemeint hat. (Ich weiß, das ist hart.) Dass ein großes Stück mehr Offenheit und Dialog uns aus dieser quälenden Rechthaberei befreien könnte, die unsere Gesellschaft befallen hat und seither vom Stammtisch übers Fernsehen und Internet in alle Bereiche des Lebens zu wuchern scheint.

Es ist sehr gefährlich, sich selbst für einen guten Menschen zu halten. Es trübt den Blick für die eigenen Schwächen.Vielleicht sollten wir es damit einfach mal gut sein lassen.

Freie KünstlerInnen: Vorreiter eines neoliberalen Systems?

„So kannst du nicht argumentieren!“
Letzter Abend des Bundeskongresses der freien Darstellenden Künste in Hamburg. Längst bin ich mit Freunden essen gegangen, drei Tage voller Diskussionen und Informationen rund um die Lobby-Arbeit der freien Szene liegen hinter mir. Und ich habe diese Tage genossen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Bezahlung, ach was sag ich, schon die soziale Absicherung von freien Theaterschaffenden katastrophal ist. Zweifellos ist es wichtig und richtig, für faire Arbeitsbedingungen zu streiten, eben für die Themen, die auf dem Kongress besprochen wurden: Eine Honoraruntergrenze zum Beispiel. Sinnvolle Förderinstrumente und Qualitätskriterien. Und doch findet man den Teufel dann im Detail, und so sitze ich da mit meinen Freunden und argumentiere mich selbst ins Aus, in dem Versuch mein Unbehagen auszudrücken.

Denn was ist schon fair?
Ein fachfremdes Beispiel aus dem Bildungssektor wird gebracht: Von Doktoranden, die für 25 € pro Stunde unterrichten. Von studierten Lehrkräften ohne Promotion, die dann nur noch 23 € kriegen. Von Bachelors die sich über 20 € freuen dürfen. Und von Lehrkräften, die nicht mehr wiederkommen durften, weil sie keine Altersvorsorge bezahlen (konnten). KünstlerInnen sind beileibe nicht die einzigen, die schlecht bezahlt werden. Natürlich schreit das danach, sich zu wehren, zu verbünden. Und dann machen wir trotzdem unterfinanzierte Projekte. Kürzen bei uns selbst. Weil wir überhaupt etwas verdienen müssen. Aber auch, weil wir unser Projekt eben so gern umsetzen wollen.

Ich denke nicht, dass KünstlerInnen die einzigen sind, die für ihren Beruf brennen – das wäre völlig vermessen. Meine Achillesferse ist eher, dass ich das vage Gefühl habe, dass es Projekte gibt, die nicht (genug) gefördert werden, obwohl sie wichtig sind. Das ist dann eher die Frage, welchen Projekten Wert beigemessen wird. Und was hat „Wert“ mit „Fairness“ zu tun?

Ob ich mir nun Schuhe kaufe, ein Brot oder eine Theaterkarte: Die Wahrheit ist, dass ich den Wert all dessen überhaupt nicht in Geld einschätzen kann. Wenn ich privat den „angemessen“ teuren Biohonig kaufe, so bin ich für mein Projekt doch verpflichtet „sparsam“ zu kalkulieren, also den Billighonig von den Zuckerwasserbienen zu kaufen. Was meine Arbeit wert ist, kann ich höchstens anhand von Kategorien beziffern: Ausbildungsgrad. Nachfrage. Förderrichtlinien. Aber wenn ich mir den Zustand meines Büros an manchen Tagen anschauen, dann bin ich geneigt, den Wert einer Stunde Putzen sehr sehr hoch einzustufen, auch wenn ich dafür keinen Magisterabschluss brauche. Und deshalb habe ich kein persönliches, sicheres Gefühl dafür, was fair ist.

Und wenn ich nun für mein Kunstprojekt einen Förderantrag einreiche, dann entscheiden andere über dessen Wert, und das bedeutet eben, dass ich das Projekt verwirklichen kann, oder auch nicht. In meinem Kopf schätze ich Ideen inzwischen schon früh ein, wäge ab, ob sie „förderfähig“ sind, entscheide intuitiv, auf was ich meine Kraft verwende, und auf was nicht. Ob die Geldgeber in öffentlichen Häusern und privaten Stiftungen meinem Vorhaben, nun ja, Wert beimessen werden. Oder ob es sich nicht lohnt: Mich stundenlang hinzusetzen und die Anträge zu schreiben.

KünstlerInnen werden nicht nur VorreiterInnen eines neoliberalen Systems, wenn sie sich selbst und andere ausbeuten und für immer weniger Geld produzieren. Sie werden es auch, wenn sie nur noch marktgerechte Ideen produzieren.

Und deshalb wünsche ich mir noch mehr Lobbyarbeit: Nämlich auch Ideen für die Projekte, die gar nicht mehr formuliert werden. Die sich jeder Logik des Marktes entziehen und somit in diesem vielleicht gar nicht sichtbar werden können. Wir sind kreativ, verdammt. Da muss doch noch was gehen.