100 Seiten

Ich habe sie geknackt, die 100 Seiten! Was für Seiten?
Seit Jahren habe ich den Traum, ein Buch über das Amt für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management zu schreiben. Erst über meine Erfahrungen in meinem gleichnamigen Projekt 2018, dann doch lieber in einer fiktiven Form, um Grenzen zu überschreiten, die ich als juristische Person und sowieso eben auch einfach als „ich“ nicht überschreiten will. Warum ich für 100 Seiten nun aber fast sechs Jahre gebraucht habe, und was das Ganze mit meinem Bild von mir als arbeitendem Menschen zu tun hat – da komme ich ins Nachdenken.


Ich habe immer gern gearbeitet und war extrem intrinsisch motiviert – Kompromisse waren nur schwer auszuhalten, was sich auch im Einkommen gezeigt hat – freiberuflich in den Bereichen Kultur und Pädagogik, da verdient man gerade genug, um eine Steuererklärung abgeben zu müssen. Und ich hatte das Bild: Ich arbeite für immer, ich höre einfach nicht auf. Das war okay für mich.

Nicht mehr arbeiten können.


Dass ich nun gesundheitlich so früh an einen Punkt gekommen bin, an dem ich allen Ernstes Rentnerin (auf Zeit) geworden bin, darauf wäre ich nicht gekommen, und es war sehr schwer für mich, das zu akzeptieren. Ich habe andere Wege probiert: Krampfhaft gegen eine Krankheit angekämpft, die zu diesem Zeitpunkt einfach stärker war. Mir einen Brotjob in Teilzeit gesucht. Und massiv um den Familienfrieden gerungen, denn ein Einkommensverlust betrifft den ganzen Haushalt und belastet das soziale Gefüge, und da sollte man viel offener drüber sprechen.

Und in dieser ganzen Zeit habe ich immer wieder etwas geschrieben – hier ein paar Sätze. Dort einen Gedanken. Eine Figur entstand, die mir ähnlich ist und doch ganz anders, die alles richtig machen will und sich mal sehr originell und mal sehr dämlich verhält: Lovis, Anfang 40 und nicht immer so richtig ehrlich mit sich selbst. Ein Arbeitstitel entstand: Lovis will das Gute. Und Lovis Geschichte fing genau da an, wo meine künstlerische Arbeit aufgehört hatte: In Grünau, und zwar als Amtsleiterin des Amts für Wunscherfüllung und Vielleicht-Managements.

Lovis will das Gute


Dann kam der nächste Zusammenbruch und ich musste eine ganze Menge aufräumen. Und mich damit anfreunden, dass es nicht nur darum geht, mich nach einer Phase zu reparieren und dann weiter zu machen, sondern endlich zu akzeptieren, dass ich bestimmte Wege wahrscheinlich nicht werde gehen können. Ich hätte gerne professionell Theater gemacht, aber dazu gehört eben nicht nur kreatives Talent, sondern auch das Vermögen, sehr mobil zu sein, sehr viel zu arbeiten, Familie, Freunde, Therapien nicht immer in der Nähe zu haben, auf lange Ruhephasen zu verzichten… Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Die meisten beruflichen Positionen, in denen man wirklich etwas gestalten kann, sind mit einem Zeitaufwand, einer Mobilät etc. verbunden, der für mich aktuell schwierig wirkt. Umgekehrt sind Aufgaben ohne Gestaltungsaspekt für mich aber leider uninteressant. Ich langweile mich, und das hat noch nie gut geendet.
Also doch wieder kreativ, doch wieder selbstbestimmt, doch wieder prekär. Seit einem Jahr arbeite ich (neben der Rente) an kleineren Aufträgen als Autorin. Ich liebe es. Auch kulturpädagogisch war mal wieder was los. Endlich wieder im Bienenland! Und eben: Der Traum vom Buch. Es ist nicht leicht, denn auch wenn es mir seit geraumer Zeit deutlich besser geht, ich bekomme die Rente nicht ohne Grund. Am schwierigsten ist es mit der Konzentration, nicht selten schlafe ich beim Schreiben ein. Ich hoffe, dass das nicht am Inhalt liegt, sondern an den Medikamenten – ich bin fast sicher. Inzwischen schreibe ich dennoch jeden Tag, und es macht mir große Freude.

Ich habe Fragen!



Und weil ich an die Zukunft denke und sowieso auch trotz allem eine ehrgeizige Person bin, nehme ich die 100. Seite zum Anlass, euch jetzt endlich meine vielen Fragen zu stellen:
Ich würde gern mit einem_einer Anwält_in sprechen, mit jemandem der_die Ahnung von Fußamputationen hat, und wie findet man überhaupt einen Verlag und eine_ Agent_in?
Gibt es irgendwelche Netzwerke von Autor_innen in Leipzig und kenne ich da wen?

Ihr seht, ich will vom Sofa aus raus in die Welt und ich würde mich freuen, wenn wir uns dort treffen.
Bis dahin schließe ich völlig zusammenhangslos mit den letzten beiden Sätzen, die ich geschrieben habe, nicht repäsentativ und voller Freude. Denn die Ideen waren nie weg und haben endlich wieder Platz. Bis bald!

„Siehste, sagt Pittiplatsch.
Ich trinke das Glas aus. Arschloch.“

„Hotel Mondial“ – echt jetzt, ZDF?

Der Schauspieler Daniel Aichinger hat vor um die 20 Jahren den Jugendclub des Theaters der Altmark geleitet. In diesem wiederum spielte mein Freund und dessen Vater rief uns vor einigen Tagen an: „Der spielt jetzt im ZDF!“. Und so kam es, dass ich diese Vorabendserie anschaute und eine perfekte Gehirnwäsche bekam. Die „Mutter aller Probleme“ wohnt nämlich im Hotel Mondial.

Zunächst mal: Sie haben sich echt bemüht. Es geht um irgendwelche Leute, die in irgendeinem Vier-Sterne-Hotel arbeiten, da gibt es viel Luxus, viel Blabla, vor allem haben sie sich aber bemüht, Diversität abzubilden, jedenfalls in Bezug auf die Hautfarbe, und das ist ja schonmal was. Zwar wäre ich gern bei der Konferenz dabei gewesen, bei dem entschieden wurde, mal was freshes, junges zu machen, zum Beispiel eine Hotelserie – und ich bekäme auch gern einen Euro für jedes Klischee und jede Floskel im Drehbuch – aber was weiß ich schon von den Zwängen im harten Geschäft der öffentlich-rechtlichen.

Die Hauptrolle spielt das deutsche Arbeitsrecht.

Die eigentliche Hauptrolle in der Serie spielt allerdings, wenn man so will, nicht der auf Abwege geratene Portier oder die knallharte Karrierefrau: Die Hauptrolle spielt das deutsche Arbeitsrecht. Ich bin da keine juristische Expertin, dass aber die neue Chefin gefühlt ab der ersten Minute munter Leute entlässt, ohne Abmahnung, ohne Betriebrat, ohne irgendwas, das ist schon der feuchte Traum der Führungselite des Großkapitals. Wer nicht gefällt, der fliegt, so ist das eben, liebe Leute! Spannend auch, dass sie nie jemand neuen dafür einstellt, denn letztlich braucht wohl niemand Mitarbeiter_innen, schon gar nicht solche, die selber denken, das macht nur Scherereien.

Dann diese Geschichte, dass der Portier noch nebenbei seine Kolleg_innen ausspionieren soll, mit Fotos und allem – na da kann man nichts machen, sie ist eben streng. Dass die Rechtsgrundlage dafür äußerst dünn ist, spielt in der Serie keine Rolle. Die Zuschauer_innen (im Vorabendprogramm) bekommen dieses Verhalten als „harte Schule“ vorgesetzt, und nicht wenige dürften glauben, dass „die harte Realität da draußen“ eben so aussieht. Eine echte Gehirnwäsche, denn wer mit diesen Vorstellungen ins Berufsleben geht, der wird ganz schlicht und einfach Ausbeutung für den Normalzustand halten. Was lachhaft ist.

Ziemlich schnell kommt er dann nämlich: Der „Oh Captain, my Captain“-Moment. Das ganze Team kündigt geschlossen. Die Chefin sagt okay und dreht sich um. Kopfschmerzen hat sie keine. Was für ein Blödsinn!

Kein_e Personalverantwortlich_e könnte sich ein solches Verhalten leisten, die Mühen, neues, qualifiziertes Personal einzustellen wären viel zu hoch, der Fachkräftemangel ist eklatant. In Wahrheit müsste die Chefin ihre Mitarbeiter_innen regelrecht umgarnen, alles andere wäre hochdramatisch für ihre eigene Karriere.

Und das alles betrifft nur die Lohnarbeit.

Und all das betrifft nur die Lohnarbeit – die vielfach unbezahlte Care-Arbeit wird hier noch nichtmal mitgenommen. Kinder, Küche, Kirche, wenn wir auf dem Level bleiben wollen, die Sorge um andere behindert unser Wertschöpfungssystem nicht, sie ermöglicht dieses. Mit massivem seelischen Druck (Moral und Mutterliebe) wird Arbeit abgehakt und unsichtbar gemacht. Gestern war Frauentag: Der radikalste Streik im Kapitalismus bestünde sicher darin, wenn Menschen mal einen Tag lang ihre Sorgearbeit ruhen ließen. Das wird nicht passieren – wir wollen nicht, dass unsere Kranken verschimmeln, unsere Kinder überfahren werden. Wir sind erpressbar, weil wir lieben, zum Glück. Diese hirnverbrannten Geschichten sollten wir trotzdem nicht weitererzählen.

Die Märchen von alles entschuldigender Mutterliebe und eben auch vom Aufstieg durch Leistung und von der Allmacht der_des Chef_in ist letztlich nur eines: Zutiefst kapitalistisch. Wir finden sie in vielen weiteren Geschichten, sie den Leuten permanent im Vorabendprogramm einzubleuen ist vermutlich keine Absicht, hat aber in jedem Fall Methode. Warum sagt ein ZDF nicht die Wahrheit: Dass gute Leute fehlen, dass Zuwanderung fehlt, dass auch Arbeitnehmer_innen in ihrer Würde und in ihren Rechten nicht geschädigt werden dürfen? Dass gute Arbeit wichtig ist – in allen Bereichen des Lebens? Und dass sie entsprechend honoriert werden sollte?

Vielleicht, der Seitenhieb sei mir verziehen, ist das in Führungsetagen mit italienischem Parkett noch nicht angekommen. Und das ist die Mutter aller Probleme.

Von einer leeren Tasse – Wahrheiten über Bewerbungen

Neulich traf ich einen Bekannten, wir sprachen über dies und das und schließlich über Bewerbungsgespräche. Und dass diese nicht halb so schlimm sind, wie uns immer erzählt wurde. Hier einige Erfahrungen von einer Frau, die fast nie eine Bluse bügelt und trotzdem Jobs und Aufträge bekommt.

Wir schreiben das Jahr 2017, es ist Frühsommer, mein Sohn gerade ein Jahr alt. Die Elternzeit endet, Geld will verdient werden, ich suche nach Jobs und Aufträgen. Jetzt gerade allerdings ist irgendwas mit Flüssigkeiten passiert (ich weiß nicht mehr so genau), der Sohn türmt in seiner Windel, ich in Hose und BH hinterher, halt, das Handy klingelt, unbekannte Nummer, ich gehe ran und weiter ins Badezimmer. Ja, guten Tag, meldet sich eine Frauenstimme, es geht um einen Job als Texterin und Ihre Bewerbung. Die Frau fragt, ich antworte, der Sohn wirft Gegenstände in die Badewanne, es scheppert ganz schön, ich erkläre, die Frau lacht. Keine Ahnung, worüber wir noch gesprochen haben, am Ende habe ich den Job und schreibe von nun an Website-Texte für Zahnarztpraxen. Und angezogen habe ich uns dann auch wieder.

Das war sicherlich mein chaotischstes Bewerbungsgespräch, nicht aber mein unprofessionellstes: Einmal hatte ich mir die falsche Zeit aufgeschrieben und kam deftig zu spät. Ein anderes Mal hatte ich noch Erfrierungen an den Händen, weil ich diese während einer Hand Mund Fuß-Erkrankung zu stark gekühlt hatte. Das war insofern authentisch, als ich auch im Job keine Maschine bin: Teamrunde und gleichzeitig das erkältete Baby stillen/bespielen/was auch immer. Von (volljährigen!) Jugendlichen eine Zigarette annehmen. Mit denselben Jugendlichen in Venedig Klingelmäuschen spielen. Und vielleicht war das sogar meine Idee.

Offensichtlich bin ich eine ganz schreckliche Person, wenn es ans Arbeiten geht.

Wenn ich das alles hier so zusammenfasse, bin ich offensichtlich eine ganz schreckliche Person, wenn es ans Arbeiten geht. Nach der Logik meiner Deutschlehrerin hätte ich nie einen Job finden dürfen. Die hatte mir nämlich erklärt, wie das geht mit dem Bewerben. Also, dem ganzen Deutsch-LK, damals 1999 am Konrad-Duden-Gymnasium in Wesel, Nordrheinwestfalen.

1999, das war die Zeit der Arbeitslosigkeit, die Zeit von Gerhard Schröder und den Horrorstories, die später die Agenda 2010 rechtfertigen sollten. Bewerbungsprozesse wurden gemeinhin wie eine Art „Kreuzweg“ geschildert, nicht selten las man von Menschen, die hunderte Anschreiben und Lebensläufe verschickten. Berichte dieser Art wiederum lasen dann mutmaßlich unsere Lehrer_innen – selbst verbeamtet und auf geradem Weg in die sichere Rente. Die Menschen, die uns auf die harte Arbeitswelt vorbereiten sollten, hatten diesbezüglich keinerlei persönliche Erfahrungen. Trotzdem gaben sie sich Mühe, und so spielten wir bei der besagten Deutschlehrerin Bewerbungsgespräche.

Guten Morgen, guten Morgen, möchten Sie einen Kaffee?, ja, *Kaffeehinstell. Sie möchten also XY werden, warum denn, ja, weil, blabla…, was sind denn Ihre Stärken? und Ihre Schwächen? Schwächen, die in Wirklichkeit Stärken sind sagen!, gut, wir melden uns, tschüs, tschüs, fertig. Jetzt Auswertung.

Eine Mitschülerin: Du wolltest Kaffee, hast dann aber gar keinen Kaffee getrunken. Spielerin: Weil in der Tasse gar nichts drin war.                                                        Lehrerin: Das könnte euch durchaus passieren, dass da nichts drin ist, dass das ein Test ist, um zu gucken, wie ihr da reagiert!

Was haben die uns für einen Stress gemacht!

Und genau das ist der Moment, auf den ich zurückblicke und dann denke: Was haben die uns für einen Stress gemacht! Und wie kontraproduktiv das war! Ich jedenfalls ging ziemlich schüchtern und verunsichert an Uni und Praktikumsplätze und musste mir das Wissen, dass eine Bewerbung kein Drama ist erst mühsam aneignen. Und deshalb schreibe ich nun das auf, was ich damals besser hätte hören sollen: 

  • Mach beruflich etwas, was du gerne tust und worin du gut bist. Punkt. Alles andere findet sich.
  • Bewirb dich für alles, was du interessant findest und zeige dein Interesse. Ein Quereinstieg kann eine feine Sache sein.
  • Bau dir unbedingt ein Netzwerk auf, die meisten Jobs (bzw. Gespräche) kriegt man eh über Beziehungen, und das ist auch richtig so: Wenn jemand schon ein Jahr zufrieden mit mir gearbeitet hat, sagt das weitaus mehr über mich aus als ein Gespräch.
  • Sei verbindlich, denn am Ende spricht man immer mit Menschen.
  • Und überleg dir selbst, was du möchtest: Nur weil jemand dich einstellen will, musst du das nicht auch wollen.
  • Darüberhinaus solltest du unbedingt immer wieder mit Kolleg_innen über Geld reden, sonst weißt du nie, was du nehmen kannst.

Und damit bin ich eigentlich immer ganz gut gefahren.

Und damit bin ich eigentlich immer ganz gut gefahren. Sicher mag es Branchen geben, in denen es ganz anders läuft. Doch auch mein Bekannter (Verpackungsingenieur oder sowas?) hatte noch kein Bewerbungsgespräch, das nicht abends beim Bier geführt wurde. Andere Menschen aus meinem Umfeld saßen plötzlich vor einer 15-köpfigen Komission (die abgefahrensten Sachen passieren immer in den Kommunen). Ich hatte auch mal den absoluten Hass-Job (Callcenter), der so furchtbar war, dass keiner dort arbeiten wollte und jede_r, absolut jede_r mitmachen durfte. Es gibt ganz verschiedene Wege. Aber niemand, wirklich niemand, stellt dir eine leere Tasse hin. Und wenn doch, dann frag, wo dein Kaffee bleibt.

Was sind eure Bewerbungserfahrungen? Bitte sagt mir, dass ich nicht die einzige bin, die es nicht schafft, sich eine Bluse zu bügeln! Und wie wurdet ihr in der Schule darauf vorbereitet? Ich bin gespannt auf eure Berichte.

Genug ist genug

Meine Turnschuhe haben Löcher.
Ich sitze auf meinem Krankenhausbett und betrachte sie minutenlang. Draußen scheint die Herbstsonne. Drinnen riecht es nach matschigen Kartoffeln und Desinfektionsmittel. Mein Mund ist trocken von den Tabletten, die ich einnehmen muss. Mein Kontostand beträgt 2,18 €. Ich werde mir so bald keine neuen Turnschuhe kaufen.

Genug ist genug, das denke ich mir in letzter Zeit öfter. Und das bedeutet:

Ich habe genug davon, arm zu sein, denn das bin ich, seit ich Mutter bin. Das Geld, dass ich verdiene, reicht nicht, um mich (nur mich) zu ernähren. Genug habe ich auch davon, was dieser Zustand mit meiner Familie macht – denn nein, wir gehören nicht zu den Menschen, die gut damit umgehen. Die Angst vor dem Mangel schafft Stress und Streit, und beides ertrage ich gerade nicht mehr.

Genug habe ich auch davon, dennoch viel zu arbeiten, keine Freizeit zu haben. Keine Zeit für mich. Tatsächlich habe ich meine Arbeit oft als „me-time“ empfunden – hier bekam ich die Chance, meine Ideen umzusetzen, konnte mich als kompetent und wirksam erleben und dafür auch Anerkennung von den Kollegen ernten. Das war schön. Aber inzwischen habe ich gelernt: Allein aus der Arbeit kann und will ich das nicht ziehen. Das ist dann eben doch nicht genug.

kein sicherheitsnetz

Genug habe ich auch davon, was es bedeutet freibruflich krank zu werden. Seit drei Monaten bin ich inzwischen arbeitsunfähig krank. In dieser Zeit habe ich mehrere tausend Euro an Honoraren verloren (obwohl meine Kolleg_innen und Auftraggeber_innen wahnsinnig fair sind – danke!). Praktisch wöchentlich erreichen mich dafür Nachrichten per Mail oder Telefon – Nachrichten, die ich weiterleiten oder kurz bearbeiten sollte. Mein Krankengeld ist eher symbolisch.

Seit Ende der Elternzeit bin ich in Vorleistung gegangen, habe Projekte entwickelt und Anträge geschrieben. Ich bin nicht schlecht in meinem Job, insgesamt sind grob überschlagen 230.000 € für verschiedene Projekte bewilligt worden. Ein kleiner Teil davon wäre normalerweise in Form von Honoraren an mich ausgezahlt worden. Allerdings habe ich die Phase der Proben und Aufführungen, die vergütet wird, größtenteils krankheitsbedingt verpasst. Sich anzustrengen lohnt sich leider nur, wenn genügend Kraft bleibt, um die Resultate zu genießen. In meinem Fall ist dieser Plan nicht aufgegangen, und ein Sicherheitsnetz ist nicht vorhanden.

Ich habe genug! Auch davon, krank zu sein. Seit vielen Jahren lebe ich mit wiederkehrenden depressiven Episoden. Und die meiste Zeit leben wir ganz gut zusammen, die Depression und ich: Sie gehört zu mir, sie hat mein Leben besser gemacht, sie macht es mir wahnsinnig schwer, sie definiert mich nicht, von Zeit zu Zeit kommt sie vorbei und erinnert mich daran, wie ich leben will.

was existenzängste bedeuten

Wenn mein Leben mich allerdings so erschöpft, dass mein Körper keinen Weg mehr hinaus findet und ich ins Krankenhaus muss, dann gibt es ein Problem. Denn die kulturpolitischen Konflikte, von denen Bündnisse wie Leipzig+Kultur oder auch der Bundesverband der freien Darstellende Künste sprechen, übersetzen sich in persönliche Geschichten: Von Armut, von Existenzängsten, von Kindern, die man lieber doch nicht bekommt, Partnerschaften, die auf der Strecke bleiben, Turnschuhen mit Löchern, die in Krankenhäusern getragen werden, die aufgrund einer riesigen Erschöpfung aufgesucht werden.

Genug ist genug – mir reicht es jetzt. Stellenangebote gerne mit mir teilen. Ich hab was drauf – muss mich nur noch ein bisschen ausruhen…

Grünau wünscht…

Seit zwei Wochen bin ich als Amtsleiterin des Amtes für Wunscherfüllung und Vielleicht-Management im Auftrag des Haus Steinstraße e.V. in Leipzig-Grünau unterwegs und befrage die Menschen zu ihren Wünschen. Vieles gäbe es zum Konzept zu erzählen, doch vorerst zähle ich einfach Mal auf, was ich gehört habe – Menschen in Grünau wünschen sich:

Dass es in Grünau mehr als eine Bibliothek gibt. Eine kleine Schwester. Abkühlung. Dass die Sparkassenfiliale wieder eröffnet. Dass die Baumstämme aus dem Robert-Koch-Park abtransportiert werden. Wieder Kontakt zu den (erwachsenen) Kindern zu haben. Ein schönes Café, in dem man auch Mal essen gehen kann und wo nicht nur das Gesindel hingeht. Einen Ferienpass. Urlaub. Dass die Krankenkasse die Podologie bezahlt, wenn der Arzt sie verordnet. Bessere Barierrefreiheit im öffentlichen Nahverkehr. Saubere Spielplätze ohne Kippen und Scherben. Mehr Hilfen für Alleinerziehende, auch wenn die Kinder schon etwas größer sind. Beratung in Liebesdingen mit dem Ziel der Eheschließung. Dass man als Mensch mit Behinderung ernst genommen und respektiert wird. Dass der Rest von Leipzig nicht auf Grünau herabschaut. Mehr Polizeipräsenz. Dass man erfährt, was ein Amt in Bezug auf den eigenen Wunsch tut, wenn man dort anruft und sein Problem schildert. Eine Muschel mit einer Perle darin zu finden. Dass die Lieferfahrzeuge zum netto-Supermarkt die eigens gebaute Zufahrt nutzen anstatt durch die Dahlienstraße zu fahren. Ein Sternburg. Mehr Parkbänke. Dass die ostdeutsche Sprache nicht ausstirbt. Dass die Mittags-und die Nachtruhe eingehalten werden. Gesundheit. Einen Laden, in dem die Kunden veranlassen können, dass jemand etwas für sie im Internet bestellt. Dass weniger Bäume gefällt werden. Eine Ballonfahrt. Dass Dyskalkulie der Lese-Rechtschreibschwäche gleichgestellt wird. Eine_n deutsch-kurdisch-Übersetzer_in. Dass das Kindergeld erhöht wird. Dass es eine Nacht lang einen rechtsfreien Raum gibt, so dass man Ausländer erschießen kann. Längere Öffnungszeiten im Stadtteilladen. Dass die schadhafte Stelle an der Treppe ausgebessert wird. Hilfe bei der Wohnungssuche. Weltfrieden. Ein Kind.

Gemeinschaft doppelt: Eine Projektentwicklung

Eine Mail in Kinderschönschrift abgeschrieben? Das obige Foto erzählt den Start für ein neues Projekt, das sich in den kommenden Monaten entwickeln wird: Das Labor für Kooperation und Kollision erforscht das Thema Gemeinschaft. Träger ist der famose Verein Interaction in Kooperation mit Blühende Landschaften, und warum das Thema, wenn man es ernst meint, einen leicht in den Wahnsinn treibt, das beschreibe ich jetzt.

Gemeinschaft: Ein Thema

Das Thema „Gemeinschaft“ beschäftigt Katharina Wessel und mich seit der Gründung des Bienenlands 2015. Die aktuellen politischen Debatten heizen das natürlich an: „GehörtderIslamzuDeutschlandaberdieFrauenrechteundwasmachenwirmidenHartzernVeganernFeministinnenTransgender?“ Spalten ist leicht. Eine positive Vision von einer diversen Gemeinschaft zu entwickeln nicht. Danach suchen wir.

Nun könnte ich fix das Konzept beschreiben, die beteiligten Künstlerinnen nennen und fertig. Nur: Da wir es mit dem Thema ernst meinen, ist es so leicht eben nicht.

Gemeinschaft: Die Arbeit

Unser Anspruch: Unsere künstlerische Forschungsfrage spiegelt sich auf allen Ebenen der Projektorganisation wider. Kein brüllender Chef der seine demokratische Vision auf die Bühne diktiert. Sondern eine Gruppe, die sich kleinschrittig vorwärts tastet. Sich dabei selbst beobachtet. Und die dabei generierten Beobachtungen künstlerisch umsetzt.

Allein der Anspruch der Diversität ist schon schwierig umzusetzen: Auf unsere an viele spannende Kolleg_innen geschickte erste Einladung hin kamen nur Frauen. Männliche Kollegen sagten freundlich ab, gern mit dem Hinweis, wir könnten uns nochmal melden, wenn ihre Aufgabe im Projekt konkret beschreibbar sei. Da es uns um die gemeinsame Konzeptentwicklung ging, scheiterte die Diversität in puncto Geschlecht im Leitungsteam schon beim ersten Treffen.

Künstler_innen mit Migrationshintergrund – zum Glück gibt es sie, auch in Leipzig. Oder? Künstlerisch sollte es natürlich auch passen, denn nochmal: Es ging auf dieser Ebene darum, gemeinsam zu konzipieren. Nur weil wir eine diverse Gruppe sein wollen, muss unser Ansatz einen syrischen Tänzer noch lange nicht interessieren. Oder? Mit einer amerikanischen Kollegin wuchs das Konzeptionsteam schließlich nach der Bewilligung des Antrags auf 6 Personen an. Eine Frau aus einem westlich geprägten Kulturkreis. Ist das divers? Ja und nein. Ist das schnuppe? Vielleicht…

In diesem Team verwalten wir nun also Geld, organisieren und konzipieren. Darum herum entwickelt sich eine immer größere Gruppe, Männer, Frauen, verschiedene Kulturen und Geschichten. Am Anfang haben wir eingeladen, einmal im Monat, um Menschen zu finden, die mitmachen wollen – inzwischen hat dieser Teil des Projekts ein Eigenleben entwickelt. Hier denkt kaum jemand an künstlerische Endergebnisse. Hier wohnt der Spaß. Ist das Gemeinschaft: Der lenkende inner circle und die lockere Gruppe?

Gemeinsam, nicht gleich sein.

Die Menschen, die wir hier über Spiele und Kochabende ans Projekt binden, werden im Sommer teilweise mit uns in einer mobilen Architektur im öffentlichen Raum auftreten.

Wir werden Passanten zuhören und selbst erzählen. Wir werden Räume so gestalten, dass Menschen verweilen oder schnell wieder gehen werden. Wir werden Gemeinschaft spüren und spürbar machen. Und dabei werden wir unterschiedliche Funktionen erfüllen. Wir werden nicht gleich sein. Ist das genug?

Nicht nur Kunst über Gemeinschaft zu machen, sondern diese auch noch aktiv und anspruchsvoll zu gestalten fühlt sich an, wie eine eMail in Schönschrift abzumalen: Mühsam, künstlich, erstaunlich. Doch es ist uns ernst. Nicht, weil wir tolle gute Menschen sind, sondern weil das unser Thema ist. Und deshalb höre ich jetzt auch auf, allein von diesem Projekt zu berichten.

Wir wagen Gemeinschaft! Das ist unser Untertitel. Ich wage deshalb Vielstimmigkeit: Über dieses Projekt berichte ich in Zukunft mit Interviews.

Künstlerische Leitung & Organisation (Bauleitung): Johanna Dieme, Franziska Furcht, Jamie Grasse, Solveig Hoffmann, Laura Kröner, Katharina Wessel

Mitwirkende: Wael Alhamed, Alfred Fayad, Louise Wonneberger + X

Produktionsleitung: Blühende Landschaften

Eine Projekt von interaction Leipzig e.V./ gefördert im Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes

Immer das Geld.

Neulich fand ich beim Spaziergang mit dem Sohn 10 Pesos. Wir bewunderten die goldene Münze, steckten sie zum Spielen ein, und ich war nur ganz kurz enttäuscht, dass es kein „echtes“ Geld war. Und dabei wurde mir das mal wieder klar: Wie viel ich in letzter Zeit über Geld rede. Über Geld, das habe ich 2017 gelernt, redet man nämlich vor allem dann, wenn man keines hat.

Freiheit in der Freiberuflichkeit

Ich liebe die Freiheiten, die mir die Freiberuflichkeit manchmal bietet: Vor allem die Chance, mir selbst Projekte auszudenken. Wie oft höre ich andere Menschen bitterlich klagen: über idiotisch konstruierte Programme, Ressourcen-fressende Organisationsstrukturen und inhaltlich verfehlte Entscheidungen von „oben“. Großartige Kolleg_innen verschleißen sich in Dienstreiseanträgen und Routine-Aufgaben. Man würde gern soviel anders machen, und es geht nicht. Nicht. Nicht. Nicht.

All dem versuche ich mich durch die Freiberuflichkeit zu entziehen, und das war mir lange eine Menge Geld wert. Wie ich schon in meinem ersten Artikel hier auf diesem Blog schrieb: Ich bin immerhin ein bisschen frei.
Natürlich musst auch ich mich an die Logik von Fördermittelvergabe und Vernetzungsstrategien anpassen. Natürlich siebe auch ich inzwischen meine Ideen ganz automatisch und überlege, ob sie förderfähig sind, bevor ich viel Zeit investiere. Natürlich muss auch ich immer wieder Mitstreiter_innen finden. Und Kooperationen mit Institutionen sind auch nicht immer leicht, wenn man allein auf der anderen Seite steht. Aber meinen Tagesablauf bestimme ich selbst, und dazu gehört eben auch, die freie Wahl zu haben, ob ich für ein bestimmtes Projekt MEHR mache. Mit dem Geld kam ich in der Vergangenheit irgendwie hin, es reichte und ich hatte Spaß. Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung sind siamesische Zwillinge, das wissen alle in der Branche.

Zurück aus der Elternzeit

Diese Freiheit hat sich verändert. Man weiß es ja irgendwie, aber es ist doch heftig: Aus der Elternzeit zurückkommen und sich umstellen. Plötzlich schlagen die Risiko-Faktoren der Freiberuflichkeit härter zu:
1. Faire Bezahlung: Ich achte darauf, dass meine Projektstunden einigermaßen fair bezahlt werden – unter bestimmte Grenzen gehe ich nicht und wünsche mir das auch von meinen Kolleg_innen. Was aber ist mit den vielen Arbeitsstunden, die einfach nie vergütet werden: Für Antragstellung (und hundertfache Überarbeitung, die Feedbackrunden nehmen da ja manchmal kein Ende), Vor- und Nachbereitung, Verwaltung etc.? Aus meiner Sicht das größte Problem.
2. Krankheit: Krank werden sollte man nicht – ich bin auch schon mit verstauchtem Fuß über vereiste Straßen zur Probe gehinkt. Stundenausfall wird nicht bezahlt. Aber ich war ja gesund! Nun allerdings wollen auch noch die Infekte des Sohns versorgt werden. Bleibe ich zwei Tage zu Hause, bekomme ich von der Krankenkasse 20€. Und war gegebenenfalls aus Auftraggeber_innensicht unzuverlässig. Yay.
3. Zeit für Vernetzung: Die Zeit ist knapp, viele Gelegenheiten, potentielle Kooperationspartner_innen zu treffen verstreichen. Im Zweifel, weil ich eine Deadline schaffen muss. Oder weil ich jetzt eben einfach ein Familie habe.

Während die Kolleg_innen um mich herum allerdings immer betriebsamer auf mich wirken, muss ich mir selbst eingestehen, dass ich doch die Schlimmste von allem geworden bin: 2017 habe ich gearbeitet wie verrückt.

Gearbeitet wie verrückt

Ich habe Wochenendarbeit mit Kind auf dem Rücken, Abendarbeit mit Kind neben mir im Bett, Teamrunde mit Kind und Spielzeug in der Mitte und telefonisches Bewerbungsgespräch mit Kind das Gegenstände durchs Badezimmer wirft erlebt (doch, den Auftrag habe ich bekommen). Mit juckenden geschwollenen Händen (Hand, Mund, Fuß, ja, zu Hause kommen die tollsten Keime an) habe ich eine Bewerbung getippt und bin 10 Tage später mit sich schuppenden, verheilenden Händen zum Bewerbungsgespräch gefahren. In der schlimmen Norovirus-Nacht habe ich meinen Sohn gehalten, am nächsten Morgen habe ich geduscht, meine Hände mit Sterilium Virugard behandelt und bin in die Nachbarstadt gefahren – wichtige Termine. Und in manchen Monaten habe ich mit all dem 300 € verdient.

So war es doch immer schon…

Andere Eltern werden abwinken: „so war es bei uns doch immer schon!“ – oder entsetzt sein: „such dir doch eine Stelle“ – ich persönlich bin wütend. Dass mein Engagement so wenig wert sein soll. Die meisten meiner Aufträge werden schließlich streng geprüft, und anders als bei so liederlichen Vorhaben wie einem Flughafen oder einem S-Bahntunnel darf ich mich niemals verkalkulieren – auch nicht um nur 50 €. Falls ich jemals den Kleinunternehmerinnen-Status verliere (also mehr als 17500 € jährlich verdiene), werde ich auch saftig Umsatzsteuer abführen müssen, die ich mangels Ausgaben nicht wieder reinholen können werde. Es lohnt sich also noch nicht einmal für mich, irgendeinen Wunderauftrag zu generieren, der mich finanziell so richtig schön ausstattet. Und schließlich arbeite ich hauptsächlich mit gesellschaftlich relevanten Gruppen (Kinder, Jugendliche, Geflüchtete etc.), deren Wichtigkeit immer wieder betont wird. Und die man gern mit billigen Honorarkräften preiswert versorgt. Oder genauer: Die unser Staat mit seiner demokratisch gewählten Regierung und seinem Steueraufkommen gern preiswert mit sich selbst ausbeutenden Honorarkräften versorgt. Die der Institution das unternehmerische Risiko abnehmen und von dem Lohn noch nicht einmal ein (!) Kind ernähren können.

Und das betrifft nicht nur Künstler_innen: Der freie Bildungssektor, die Reinigungsfachkräfte, Übersetzer_innen und und und. Einzelunternehmer_innen sind billig. Vor allem, weil man nicht jede Stunde bezahlen muss.

Ich wiederhole mich: Ich war immer gerne frei. Freiheit heißt inzwischen auch, dass ich meinen Teil zum Familieneinkommen beitragen kann. 2018 hat gerade erst begonnen, und ich bin auf der Suche: Nach einer neuen Strategie. Vorschläge sind sehr willkommen.

Theater Frauen Netzwerk Leipzig – viel Austausch und eine Umfrage

Seit einigen Monaten gibt es ein regelmäßiges Treffen einiger Frauen aus Leipzig, die Theaterberufe ausüben und sich austauschen: Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig. Ulrike Bedrich und ich haben es gegründet, und es wurde rasch gemütlich: Nette Kolleginnen, viele Ideen, leckere Kekse – und ziemlich schnell auch einige vorsichtige Fragen:

  • Fühlen wir uns in unserem Job als Frauen überhaupt benachteiligt?
  • Sind nicht viele der Probleme, die wir bei unseren Arbeitsbedingungen wahrnehmen, allgemeine Probleme der Branche? Was davon betrifft uns als Frauen in besonderem Maße?
  • Und geht es darum bei einem solchen Netzwerktreffen eigentlich? Oder wollen wir eigentlich nur eines: netzwerken?

Fragen, die sicherlich auch von anderen Frauen und in anderen Branchen gestellt werden, und die leider oft in verhärtete Diskussionen führen. Man kann diese Fragen als unnötig abtun (und die von der Künstlersozialkasse ermittelten Einkommensunterschiede ignorieren), man kann auf Basis des persönlichen Erlebens argumentieren (und sich damit auf politischer Ebene lächerlich machen), man kann in vergeistigte Gefilde abheben (und über gegebenenfalls vorhandene Zustände einfach hinwegschweben anstatt etwas zu verändern). Es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Strategien, sich Fragen der Gleichstellung zu entziehen, eine gute Zusammenstellung lässt sich etwa in den völlig abwegigen Sendungen von Plasberg zu diesem Thema beobachten.

Was im Theaterbereich einfach fehlt, ist eine Studie zu diesem Thema. Die Versuchung ist groß, an dieser Stelle zu den typischen Sexismen der Branche abzuschweifen, allein, es wird nicht helfen, denn sich darüber zu ärgern wird leider nicht ausreichen: Nicht um die obigen Fragen zu beantworten und schon gar nicht, um etwas zu verändern. Ich lebe in Sachsen, einem Bundesland, in dem aus der Regierung seit 1989/90 kein einziger Impuls zum Thema Gleichstellung erfolgt ist. Und wenn Kulturschaffende, ganz gleich um welche Fragen es geht, sich nicht von selbst einmischen, dann wird sich die Kulturpolitik selten in ihrem Sinne entwickeln. So funktioniert Interessenvertretung nicht.

Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig hat deshalb eine eigene kleine Umfrage entwickelt. Wir sind keine Soziologinnen und wir haben diese für uns fachfremde Arbeit ehrenamtlich nebenher erledigt. Weil wir Antworten auf unsere Fragen brauchen, weil wir eigene Argumente entwickeln und vertreten können wollen. Gerne auch, um unsere Ergebnisse dafür einzusetzen, hinterher eine größere, bessere Studie anzuschieben. Bereits jetzt interessieren sich Menschen für diese Umfrage, die starke PartnerInnen werden könnten; z.B. die Bundestagsabgeordnete Dr. Eva Högl, mit der wir uns letzte Woche trafen. Und die sich all unsere Wünsche notiert hat.

Deshalb freuen wir uns, wenn ihr, liebe LeserInnen, mitmacht! Egal ob Mann/Frau/drittes Geschlecht, wenn ihr im Theaterbereich in Sachsen arbeitet, sind wir interessiert an euren Erfahrungen! (Wenn nicht, dann auch, allerdings nicht im Fragebogen…) Es geht uns um Geschlechtergerechtigkeit in jeglicher Hinsicht, also ist uns jede Position wichtig. Macht mit, verbreitet weiter, in Stadttheater wie in der freien Szene. Und wenn ihr mehr wissen wollt: Nächste Woche stellt Ulrike Bedrich die Umfrage im Rahmen einer Veranstaltung zur Situation der Frauen im Kulturbereich in der Stadtbibliothek Leipzig vor. Am 3.12.2015, 17-19 Uhr. Kommt vorbei!

Hier der Link zur Umfrage.

Jump and Run: freiberuflich Mutter werden

Es ist ruhig geworden auf dem Blog. Ich schreibe weniger. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Ich bin schwanger.

Das bedeutet nun mitnichten, dass ich meine Finger nicht mehr bewegen oder keinen klaren Gedanken mehr fassen könnte. Ich plane auch nicht, zum Mutti-Blog überzugehen. Vielmehr ist es so, dass Hirn und Hände damit beschäftigt sind, die Veränderungen in meinem Leben zu organisieren. Denn selbstständig und über die Künstlersozialkasse versichert schwanger zu sein bedeutet in erster Linie eines: Keiner weiß irgendetwas. Und die Verwaltungsgesellschaft schlägt mit Wonne zu.

„Ich bin Freiberuflerin, das heißt, ich bekomme kein regelmäßiges Gehalt vom Arbeitgeber, sondern…“ – diese Worte stammen nicht von mir, sondern von der Hebamme. Niedergelassene ÄrztInnen und Hebammen, alle sind sie selbstständig, aber jenseits der gesundheitlichen Ebene kommen wir nicht ins Gespräch. Schade, denn ÄrztInnen und Hebammen schreiben auch Millionen Ratgeber, in denen sich stets auch einige Seiten zu Elterngeld, gesetzlichen Fristen und Arbeitsrecht finden. Für Angestellte. Ich muss mich dann nochmal irgendwo genauer erkundigen.

Also Google. Viele Informationen, und immer der Hinweis: Lassen Sie sich nochmal persönlich beraten. Eines scheint sinnvoll zu sein: Eine gute Krankentagegeldversicherung, falls es gegen Ende doch beschwerlich wird. Diese Zusatzversicherung wollte ich sowieso schon länger abschließen. Also auf zu meiner Krankenkasse, der BARMER. Die bewirbt ihr Programm für „Künstler und Publizisten“ auf der bundesweiten Homepage – hat es aber in den letzten 2 1/2 Monaten nicht geschafft, das entsprechende Formular für mich zu finden.

Mein Freund ruft bei der Stadt an: Wo können wir uns zum Elterngeld beraten lassen? Ja, da gibt es einen Termin im Dezember im Ratsplenarsaal, da können alle hinkommen, da wird das erklärt. Aus mehreren Veranstaltungen habe ich die Erfahrung mitgenommen, dass ich im Ratsplenarsaal der Stadt Leipzig selten etwas gehört habe, was ich noch nicht wusste. Ich recherchiere also erstmal selbst weiter. Eigentlich habe ich alles richtig gemacht: Schon ein paar Jahre gearbeitet, Berechnungsgrundlage ist das Einkommen des letzten Jahres, und da die Gründung schon eine Weile zurückliegt, ist das finanziell nicht viel, aber okay. Wenn ich dann allerdings wiederkomme, dann verdiene ich erstmal: Nichts. Schon Monate vorher müsste ich schließlich Anträge stellen, Aufträge aquirieren. Alles kein Problem, bis zu 30 Stunden darf ich mit Elterngeld unbezahlt arbeiten. Nur vage kann ich mir vorstellen, was mein Kind dazu sagen wird. Wie also deichseln wir das, dass mein Freund Elternzeit nehmen kann, ohne dass wir finanzielle Probleme kriegen?

Beruflich habe ich viel Kontakt zu Kindern mit schlechter gesundheitlicher Versorgung. Häufig an Orten mit eher mittelmäßigen hygienischen Möglichkeiten. Ich mag diese Arbeit und vor allem diese Kinder sehr, aber plötzlich stehe ich auch hier vor der Frage: Worauf muss ich achten? Was sollte ich nicht mehr machen? Lakonische Antwort meiner Ärztin: „Das muss Ihr Arbeitgeber entscheiden.“ Das bin ich. Ich entscheide also: Mehr Hände waschen, keine Einschränkungen. Und wünsche mir insgeheim, allwissend zu sein, einfach um allen gerecht werden zu können: meinem Kind, meinen besorgten Eltern, den Kindern, die nichts falsch gemacht haben, die nur selbst schlecht versorgt werden, den Kollegen, für die das eben doch abstrakter ist, als für mich.

Schließlich der Endgegner: Die KSK. Was muss ich bezüglich der Künstlersozialkasse beachten? Ich rufe einfach mal an, die KSK ist für ihren Telefonservice schließlich berühmt. Jede meiner Fragen ist dumm. Das Prozedere: Dass ich mein Jahreseinkommen 2016 so schätzen muss, als ob ich gar kein Kind bekommen würde. Und dann die Bescheinigung einreiche: Hoppla, da kommt ein Kind. Dann vorübergehend aus der KSK fliege und bei rechtzeitiger Rückmeldung problemlos wieder aufgenommen werde. (Sonst nicht!) Dieses Prozedere ist das einzig Vorstellbare. In meinem nächsten Leben werde ich Sachbearbeiterin bei der KSK. Denn dann weiß ich einfach mal, wie es läuft. Und alle anderen nicht.

„Wie lange möchten Sie noch arbeiten?“ – auch diese Frage stellt mir eine Hebamme. Ich freue mich darüber, und gleichzeitig klingt es doch nach Luxus. Durch die Schwangerschaft habe ich mir weniger aufgeladen. Ich kann keine Aufträge über die komplette Spielzeit durchführen. Die Wahrheit ist: Ich arbeite schon jetzt weniger, verdiene weniger. Trotzdem werde ich wohl so lange wie möglich Aufträge annehmen. Gerne (dass ich das mal sagen würde, hätte ich auch nicht gedacht) solche, die am Schreibtisch zu erledigen sind.

PS: Eigentlich wollte ich diesen Artikel schreiben, wenn ich all diese Fragen beantwortet habe. Das erscheint mir derzeit aber ein eher theoretischer Zustand zu sein. Wenn ihr mehr wisst oder ich Sachen falsch recherchiert habe: Schreibt mir, wie es geht!!!

PPS: Das ist ein einigermaßen beruflicher Blog. Trotzdem: Auf mein Kind freue ich mich sehr. Und es wird früh lernen, Anträge auszufüllen 😉

Freie KünstlerInnen: Vorreiter eines neoliberalen Systems?

„So kannst du nicht argumentieren!“
Letzter Abend des Bundeskongresses der freien Darstellenden Künste in Hamburg. Längst bin ich mit Freunden essen gegangen, drei Tage voller Diskussionen und Informationen rund um die Lobby-Arbeit der freien Szene liegen hinter mir. Und ich habe diese Tage genossen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Bezahlung, ach was sag ich, schon die soziale Absicherung von freien Theaterschaffenden katastrophal ist. Zweifellos ist es wichtig und richtig, für faire Arbeitsbedingungen zu streiten, eben für die Themen, die auf dem Kongress besprochen wurden: Eine Honoraruntergrenze zum Beispiel. Sinnvolle Förderinstrumente und Qualitätskriterien. Und doch findet man den Teufel dann im Detail, und so sitze ich da mit meinen Freunden und argumentiere mich selbst ins Aus, in dem Versuch mein Unbehagen auszudrücken.

Denn was ist schon fair?
Ein fachfremdes Beispiel aus dem Bildungssektor wird gebracht: Von Doktoranden, die für 25 € pro Stunde unterrichten. Von studierten Lehrkräften ohne Promotion, die dann nur noch 23 € kriegen. Von Bachelors die sich über 20 € freuen dürfen. Und von Lehrkräften, die nicht mehr wiederkommen durften, weil sie keine Altersvorsorge bezahlen (konnten). KünstlerInnen sind beileibe nicht die einzigen, die schlecht bezahlt werden. Natürlich schreit das danach, sich zu wehren, zu verbünden. Und dann machen wir trotzdem unterfinanzierte Projekte. Kürzen bei uns selbst. Weil wir überhaupt etwas verdienen müssen. Aber auch, weil wir unser Projekt eben so gern umsetzen wollen.

Ich denke nicht, dass KünstlerInnen die einzigen sind, die für ihren Beruf brennen – das wäre völlig vermessen. Meine Achillesferse ist eher, dass ich das vage Gefühl habe, dass es Projekte gibt, die nicht (genug) gefördert werden, obwohl sie wichtig sind. Das ist dann eher die Frage, welchen Projekten Wert beigemessen wird. Und was hat „Wert“ mit „Fairness“ zu tun?

Ob ich mir nun Schuhe kaufe, ein Brot oder eine Theaterkarte: Die Wahrheit ist, dass ich den Wert all dessen überhaupt nicht in Geld einschätzen kann. Wenn ich privat den „angemessen“ teuren Biohonig kaufe, so bin ich für mein Projekt doch verpflichtet „sparsam“ zu kalkulieren, also den Billighonig von den Zuckerwasserbienen zu kaufen. Was meine Arbeit wert ist, kann ich höchstens anhand von Kategorien beziffern: Ausbildungsgrad. Nachfrage. Förderrichtlinien. Aber wenn ich mir den Zustand meines Büros an manchen Tagen anschauen, dann bin ich geneigt, den Wert einer Stunde Putzen sehr sehr hoch einzustufen, auch wenn ich dafür keinen Magisterabschluss brauche. Und deshalb habe ich kein persönliches, sicheres Gefühl dafür, was fair ist.

Und wenn ich nun für mein Kunstprojekt einen Förderantrag einreiche, dann entscheiden andere über dessen Wert, und das bedeutet eben, dass ich das Projekt verwirklichen kann, oder auch nicht. In meinem Kopf schätze ich Ideen inzwischen schon früh ein, wäge ab, ob sie „förderfähig“ sind, entscheide intuitiv, auf was ich meine Kraft verwende, und auf was nicht. Ob die Geldgeber in öffentlichen Häusern und privaten Stiftungen meinem Vorhaben, nun ja, Wert beimessen werden. Oder ob es sich nicht lohnt: Mich stundenlang hinzusetzen und die Anträge zu schreiben.

KünstlerInnen werden nicht nur VorreiterInnen eines neoliberalen Systems, wenn sie sich selbst und andere ausbeuten und für immer weniger Geld produzieren. Sie werden es auch, wenn sie nur noch marktgerechte Ideen produzieren.

Und deshalb wünsche ich mir noch mehr Lobbyarbeit: Nämlich auch Ideen für die Projekte, die gar nicht mehr formuliert werden. Die sich jeder Logik des Marktes entziehen und somit in diesem vielleicht gar nicht sichtbar werden können. Wir sind kreativ, verdammt. Da muss doch noch was gehen.