Ist mir schnuppe!

Die Ampel ist zerbrochen. Was täglich in Aussicht gestellt wurde, ist nun mit einem großen HUCH wirklich passiert. Leider kehrt damit natürlich keine Ruhe ein, nein, es wird noch viel aufgeregter geredet, gezetert, sogar ein Instrumentalstück ist inzwischen im Topf. Das Ganze frustriert mich maßlos.


Es ist mir schnuppe!


Ob der Bundeskanzler sein Statement am Mittwochabend schon vorab vorbereitet hatte, oder nicht. Eigentlich hoffe ich, dass er sich vorbereitet hat, wenn er vor die Presse tritt.
Es ist mir schnuppe, ob Robert Habeck Fehler eingesteht, ohne genau zu sagen, welche das eigentlich sein sollen, dafür aber sympathisch in der Küche von Freunden (Botschaft: Er hat Freunde!!) sitzt.
Es ist mit schnuppe, wer jetzt alles Bundeskanzler, Finanzminister oder sonstwas werden will.
Es ist mir schnuppe, wie ein Marco Buschmann seine „Emotionen“ in einem Song zum Ausdruck bringt, inklusive fürchterlicher Anmoderation. (Das passiert, wenn man an kultureller Bildung spart.)
Es ist mir schnuppe, schnuppe, schnuppe, was Markus Söder über all das denkt, er wird Bayern hoffentlich nie wieder verlassen.
Und erst recht ist mir dieser Streit um den Wahltermin, der ganz offensichtlich rein strategisch motiviert ist schnuppe.

Ich höre nur ichichich.

Diese ganze Ego-Show der letzten Jahre, sie geht einfach weiter, ich höre ichichich und denke daran, wie man Kindern erklärt, was eine richtige Entschuldigung ist, und was nicht. Offenbar machen wir das oft nicht gut genug, denn die Herren in der Spitzenpolitik haben es bis heute nicht verstanden:

„Auch ich habe Fehler gemacht, das gebe ich zu, und deshalb sollt ihr jetzt mich und nur mich an folgendem Termin wählen.“

Geht’s noch? Kein Wunder, dass die AfD dieser Tage verhältnismäßig still bleibt, das Ganze ist wie ein einziges, riesiges Wahlgeschenk. Und das ist mir nicht schnuppe.


Was mir nicht schnuppe ist:


Gibt es jemanden, der die notwendigen Gesetze verabschiedet, damit uns der Laden nach der Vertrauensfrage und der Wahl nicht um die Ohren fliegt? Sprich: Vorkehrungen trifft, damit wir „wetterfest“ gegen eine noch größere AfD-Fraktion sind? Den Haushalt vielleicht doch noch festzurren können? (Ja, ich weiß, aber schön wär’s.) Vielleicht auch noch zwei, drei andere Kleinigkeiten regelt, die einfach richtig sind, zum Beispiel die Kindergelderhöhung?


Nach der Trennung muss irgendwer die Scherben aufkehren, und zwar mit einem Besen, nicht mit einer Fernsehkamera.
Bittedanke.

Ein paar Bitten…

Die Rechten sind die Gewinner_innen (ich gendere aus Prinzip) der jüngsten Wahlen. Sie werden aller Voraussicht nach auch bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen abräumen. Wahrscheinlich haben wir inzwischen auch jede Strategie gegen diese Entwicklung hinlänglich zerredet, ich habe dafür keine Geduld mehr. Ich habe nur einige Bitten:


1. Nehmt das Problem endlich ernst.
Menschen sterben an rechter Gewalt, schon seit langem. Wir dürfen das nicht unterstützen, weder in Bezug auf rassistische, sexistische, homophobe, transphobe oder ableistische Gewalt. Und auch nicht mit Blick auf die mittelbare Gewalt einer klimatisch ruinierten Welt. All das betrifft nicht nur die Politik der AfD, sondern auch (weite) Teile der CDU/CSU, FDP, SPD… Jede Partei zuckt an den ihr passenden Stellen die Achseln.


2. Hört auf, euch über AfD-Wähler_innen lustig zu machen.
Ja, ich fühle mich auch moralisch überlegen. Das bringt mir aber überhaupt nichts, wenn ich mit dieser Überzeugung allein bleibe. Wir müssen! dringend! AfD-Wähler_innen überzeugen. Auch wenn es sehr verlockend ist, sich mit diesen überhaupt nicht mehr zu befassen, sie sind nunmal da und wir sollten in Kontakt bleiben – in der Familie, Nachbarschaft, wo es sich eben anbietet.
Tipp am Rande: Es bringt meist nicht viel, sich über Meinungen zu streiten. Es kann aber zu guten Gesprächen führen, wenn man in die Biographien einsteigt und dann ganz ehrlich spiegelt, wie sich bestimmte Erfahrungen und Reaktionen für einen selbst anfühlen. Also ruhig ehrlich sagen, was man schlimm findet, aber nicht den Menschen an sich herabwürdigen. Ein schmaler Grad, ich weiß.


3. Unlust überwinden: Klar muss jetzt nicht jede_r Nazis therapieren, Menschen mit einem geschlossenen rechten Weltbild erreicht man sowieso nicht. Aber sorry, wir sind auch echt nicht in der Position, uns nicht anstrengen zu müssen.

4. Kein Ossi-Bashing. Diskussion gern. Aber mit zuhören. Alles andere macht die Lage nur noch schlimmer.


5. Lachen wo es Lachen braucht: Politiker_innen und Nazis sind vielfach Medienprofis, stramm rechts und nur an sich selbst interessiert. Lacht und schimpft über sie, alles andere bringt eh nichts.

6. Beschwert euch über Algorithmen! Je krasser, drastischer, aggressiver eine Äußerung in den sozialen Netzwerken, desto mehr Reichweite hat sie in den sozialen Netzwerken, die Medien ziehen nach. Das weltweite Erstarken der Rechten hat mit Sicherheit auch damit zu tun. Da brauchen wir dringend mehr Regulierung und eine Debatte, wie das mit der Pressefreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Einklang zu bringen ist.


7. Hört endlich auf zu glauben, dass dieses Problem auf der Sachebene zu lösen ist. Es ging nie um Argumente, es geht um Gefühle, Haltungen. Eine Politik der Höflichkeit und Freundlichkeit auf allen Ebenen kann hier die einzige Antwort sein. Auf Werte wie den der der Gastfreundschaft könnte Friedrich Merz ja auch mal wieder stolz sein.

8. Egal, in welcher Öffentlichkeit ihr steht: Vertretet eure Meinung. Sagt nicht, was ihr glaubt, was die Menschen vor euch hören wollen. Integrität ist das einzige, was in dieser Lage echte Orientierung bietet.

Und 9. Nehmt das Problem endlich ernst.
Danke.

Olaf Scholz wählt AfD

Olaf Scholz tut so, als können man die Herausforderungen der Migration mittels Abschiebungen negieren. Damit erweist er der AfD einen großen Dienst. Es ist beschämend.

Es ist mal wieder Zeit. Eigentlich wimmere ich in puncto Flüchtlingspolitik nur noch leise im Familienkreis vor mich hin und habe keine Lust mehr, mich an jedem Aufreger zu beteiligen. Ich ertrage Friedrich Merz, ich ertrage Philipp Amthor, ich ertrage Markus Lanz, (Precht gucke ich mir gar nicht erst an), ich halte Nancy Faeser aus und eigentlich auch alle anderen. Das geht insofern ganz gut, als ich ja nicht betroffen bin, hurra. Und wenn dann so ein Flugblatt kommt, und so eine lässige Nicht-Erklärung wie bei Aiwanger, dann überkommt mich einfach das Gefühl eines kompletten politischen Kontrollverlusts. Die AfD drängt mehr und mehr in Ämter und ich habe Angst. Wahrscheinlich nicht halb so viel, wie andere Menschen, die sichtbarer auf der Feindesliste stehen.

Und nun also Olaf Scholz und seine Hammeridee, „die Probleme“ dadurch zu lösen, „endlich im großen Stil abzuschieben.“ Das ist ja erstmal eine hochinteressante Idee: Wenn (!) die Wähler_innen mit der Aufnahme von Geflüchteten Ängste oder Ärger empfinden, dann ist die Vorstellung, diese Menschen einfach loszuwerden natürlich reizvoll. Abgesehen von allen moralischen Bedenken lautet die Erzählung dann ungefähr so: Wir haben Leute aufgenommen, dann wurde es uns zuviel, und da haben wir dann nach bestimmten Kriterien Leute ausgewählt und die wieder weggeschickt und die sind jetzt auch weg.

Was für ein Blödsinn!

Wir leben in einer globalisierten Welt. Apfelsinen und Billigschuhe bedeuten eben auch, dass die Welt zusammenrückt. Wir haben von diesem Zustand massiv profitiert und tun es noch. Eine riesige Ungerechtigkeit. Menschen fliehen vor Kriegen und Zuständen, die auch wir durch unsere kolonialen Aktivitäten erzeugt haben. Und es werden noch viel mehr Menschen fliehen, wenn der Klimawandel Fahrt aufnimmt. Wir haben mit unseren Emissionen und unserem (Fleisch)-konsum eine Welt gestaltet, in der wir der Fluchtpunkt sind. Je mehr Menschen kommen, desto absurder wird der Abschiebeplan. Dann müssen wir uns eben fragen: Wollen wir Gewalt, Bewaffnung, im Ernstfall Bürgerkrieg? Oder fragen wir uns vielleicht doch besser: Wie gestalten wir diese Situation zusammen?

Bei unseren Politiker_innen sehe ich leider wenig Bereitschaft, diese Zusammenhänge mit den Wähler_innen zu besprechen. Man macht sich damit nicht beliebt, also greift man lieber zur Merkel-Taktik: Die erzählt bis heute, dass nicht absehbar war, dass 2015 so viele Menschen kommen würden. Bullshit, Sachverständige haben das wieder und wieder gesagt. Aber die Vorstellung, dass es plötzlich über dem Balkan Muslime geregnet haben solle, die hält sich irgendwie hartnäckig.

Da wird viel gelogen. Das nützt der AfD.

Es ist, als ob man den Kindern hartnäckig vom Weihnachtsmann erzählt, obwohl draußen längst andere Leute stehen, die ganz unterschiedlich sind. Aber ES MUSS DER WEIHNACHTSMANN SEIN!!1! Da wird viel gelogen, und auch Olaf Scholz lügt, wenn er so tut, als läge die Lösung für alles was schwierig ist, in mehr Abschiebungen. Er lügt, weil er nicht zugeben will, dass er die Migration nur begrenzt einschränken kann. Und das ist ein direkter Service für die AfD: Politiker_innen die die Migration begrenzen/abstellen wollen, greifen ihre Themen auf. Und, was noch viel schlimmer ist: Politiker_innen, die unhaltbare Versprechungen machen oder wissentlich lügen, bestätigen die Wählerschaft direkt in ihrem Demokratieverständnis. Das ist katastrophal. Der einzige Weg mit der AfD umzugehen, ist authentisch mit den Leuten zu reden. Nicht auf Podien, das wird nur ausgenutzt, aber im direkten Kontakt. Klar und ehrlich für das eintreten, was man selbst auch vertreten kann. Und für sinkende Flüchtlingszahlen würde ich nicht meine Hand ins Feuer legen.

Wem traut ihr das zu? Ich werde schon wieder so müde…

Nichts über Rammstein

Seit einer ganzen Weile diskutiert das Internet nun schon über Rammstein, bzw. über die Vorwürfe gegen Till Lindemann und inzwischen auch Flake. Missbrauch, Vergewaltigung, K.O.-Tropfen, Gewalt, eine sexistische Casting-Praxis, Anzeigen und Anwaltschreiben. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, was auch gut ist, denn die allermeisten von uns waren noch nie backstage bei Rammstein und haben daher eigentlich nicht so viel zur Debatte beizutragen. Oder doch? Ich für meinen Teil bin wahnsinnig wütend. Und deshalb schreibe ich heute mal „Nichts über Rammstein“.

Ein Hinweis vorab: Ich habe dieses Mal weniger gegendert. Natürlich weiß ich, dass auch Männer und männlich gelesene Personen Opfer von sexualisierter Gewalt werden können. Ich wollte aber, dass auch potentielle cis*männlicher Täter den Text verstehen. Danke für euer Verständnis.

„Büchsenöffner.“ Was für mich bis vor kurzem noch ein Utensil eines Astrid-Lindgren-Picknicks war, wurde mir nun mit 41 Jahren von wohlmeinenden Freunden erklärt: Den Büchsenöffner nehmen Menschen (Jungs) auf dem Land mit zur Party. Er besteht aus einer Flasche Schnaps. Frauen abzufüllen um sie „ins Bett zu kriegen“ ist eine beliebte kulturelle Praxis.

Und überhaupt: „ins Bett kriegen“? Wie kriegt man die Frauen da nur hin? Mit Hunden? Absperrungen? Sollte man vielleicht einen Salzleckstein aufstellen?

Und was wird aus denen, bei denen das nicht klappt? „Reste ficken“ – so lange weitersaufen, bis alle anderen weg sind und der traurige Rest dann eben auch endlich gut genug ist. Ist das der Plan?

Vielleicht mit einem Salzleckstein?


Wir müssen nicht über den Fall Rammstein sprechen, um zu sehen, dass wir ein riesigens gesellschaftliches Problem namens rape culture haben. Andernfalls würden die Vorwürfe auch nicht so hohe Wellen schlagen. Und die Fans und Verteidiger_innen ziehen ja auch alle Standardregister: Victim Blaming ohne Ende, ein absurdes Vertrauen in die Aufklärungsfähigkeit der Behörden und einen ordentlichen Schuss Romantisierung der Musikbranche.

Denn soviel muss klar sein, selbst wenn ich nackt und zugedröhnt im Backstagebereich rumliegen würde, umgeben von Liebesbriefen an die halbe Band – ohne ausdrücklichen und direkten consent hat niemand das Recht das auszunutzen. Wenn ich nicht mehr in der Lage wäre mich zu äußern, dann wäre ich auch nicht mehr fähig diese Entscheidung zu treffen, und da ist es egal, ob man Till, Flake oder Nepomuk heißt und am vernünftigsten wäre es vielleicht sowieso eine_n Sanitäter_in zu rufen. Ein aufgezwungener Geschlechtsverkehr ist nie die Schuld des Opfers, es hat natürlich die Verantwortung für sich selbst, nicht aber für den potentiellen Täter, übrigens auch egal wie betrunken auch dieser wiederum ist. Und, kleine Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden. Nur mal so als Tipp.

Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden.


Dass die Behördern sexualisierte Gewalt in welcher Form auch immer zuverlässig aufklären und angemessen bestrafen würden – ich möchte jedes Mal eine Friedenstaube mit den neuesten Statistiken losschicken, wenn ich dieses Argument lese. Sie tun es nicht, sie können es nicht, es ist sowieso schon schwierig und die Verfahrensweisen helfen auch nicht dabei. Ich empfehle das Buch „Akteneinsicht“ von Christina Clemm.

Und dann natürlich der Mythos des ungezügelten Lebens der Rockstars… Ja, diese Mythen aus den Welten der Künste, die sind ganz schön nützlich, und zwar nicht nur in der Musikbranche. Auch im Theater und im Film und was weiß ich nicht wo noch alles stabilisieren sie ungerechte, frauenfeindliche, schlicht patriarchale Strukturen.

Rammstein sind in allererster Linie eins: Ein sehr großer Arbeitgeber. Sie stehen an der Spitze einer großen Pyramide von Abhängigkeitsverhältnissen. Solche Gebilde neigen dazu, dass niemand spricht, dass Dinge klein- oder schöngeredet werden. Wem nützt es schon, schwerwiegende Anschuldigungen zu äußern? Wer denkt, dass die Frauen davon profitieren, dem werde ich diese Überzeugung nicht nehmen können. Denn die Frage ist ja: Was müsste eine Frau tun, wie schlimm und wie persönlich muss eine Frau sich äußern, damit ihr keine niedere Absicht mehr unterstellt wird? Wieviel soll sie von sich Preis geben, damit ihr geglaubt wird? Und ab welchem Punkt ist es dann schon wieder hysterisch, unrealistisch usw? Frauen können an diesem Punkt nur verlieren. Weil sie Frauen sind.

Sie werden es überstehen.


Rammstein, da bin ich mir ziemlich sicher, werden die Sache überstehen. Sie haben alle Ressourcen und per se kein Problem damit, die „bösen Jungs“ zu sein und mit Ambivalenzen zu spielen. Das ging bei den letzten Konzerten in Berlin schon los.

Das Gute ist: Ich fühle mich persönlich nicht von denen bedroht.
Das Schlechte: Ich lebe in einer Welt voller Büchsenöffner. Das ist verdammt bedrohlich und gefährlich, nehmt es endlich zur Kenntnis. Danke.



„Hotel Mondial“ – echt jetzt, ZDF?

Der Schauspieler Daniel Aichinger hat vor um die 20 Jahren den Jugendclub des Theaters der Altmark geleitet. In diesem wiederum spielte mein Freund und dessen Vater rief uns vor einigen Tagen an: „Der spielt jetzt im ZDF!“. Und so kam es, dass ich diese Vorabendserie anschaute und eine perfekte Gehirnwäsche bekam. Die „Mutter aller Probleme“ wohnt nämlich im Hotel Mondial.

Zunächst mal: Sie haben sich echt bemüht. Es geht um irgendwelche Leute, die in irgendeinem Vier-Sterne-Hotel arbeiten, da gibt es viel Luxus, viel Blabla, vor allem haben sie sich aber bemüht, Diversität abzubilden, jedenfalls in Bezug auf die Hautfarbe, und das ist ja schonmal was. Zwar wäre ich gern bei der Konferenz dabei gewesen, bei dem entschieden wurde, mal was freshes, junges zu machen, zum Beispiel eine Hotelserie – und ich bekäme auch gern einen Euro für jedes Klischee und jede Floskel im Drehbuch – aber was weiß ich schon von den Zwängen im harten Geschäft der öffentlich-rechtlichen.

Die Hauptrolle spielt das deutsche Arbeitsrecht.

Die eigentliche Hauptrolle in der Serie spielt allerdings, wenn man so will, nicht der auf Abwege geratene Portier oder die knallharte Karrierefrau: Die Hauptrolle spielt das deutsche Arbeitsrecht. Ich bin da keine juristische Expertin, dass aber die neue Chefin gefühlt ab der ersten Minute munter Leute entlässt, ohne Abmahnung, ohne Betriebrat, ohne irgendwas, das ist schon der feuchte Traum der Führungselite des Großkapitals. Wer nicht gefällt, der fliegt, so ist das eben, liebe Leute! Spannend auch, dass sie nie jemand neuen dafür einstellt, denn letztlich braucht wohl niemand Mitarbeiter_innen, schon gar nicht solche, die selber denken, das macht nur Scherereien.

Dann diese Geschichte, dass der Portier noch nebenbei seine Kolleg_innen ausspionieren soll, mit Fotos und allem – na da kann man nichts machen, sie ist eben streng. Dass die Rechtsgrundlage dafür äußerst dünn ist, spielt in der Serie keine Rolle. Die Zuschauer_innen (im Vorabendprogramm) bekommen dieses Verhalten als „harte Schule“ vorgesetzt, und nicht wenige dürften glauben, dass „die harte Realität da draußen“ eben so aussieht. Eine echte Gehirnwäsche, denn wer mit diesen Vorstellungen ins Berufsleben geht, der wird ganz schlicht und einfach Ausbeutung für den Normalzustand halten. Was lachhaft ist.

Ziemlich schnell kommt er dann nämlich: Der „Oh Captain, my Captain“-Moment. Das ganze Team kündigt geschlossen. Die Chefin sagt okay und dreht sich um. Kopfschmerzen hat sie keine. Was für ein Blödsinn!

Kein_e Personalverantwortlich_e könnte sich ein solches Verhalten leisten, die Mühen, neues, qualifiziertes Personal einzustellen wären viel zu hoch, der Fachkräftemangel ist eklatant. In Wahrheit müsste die Chefin ihre Mitarbeiter_innen regelrecht umgarnen, alles andere wäre hochdramatisch für ihre eigene Karriere.

Und das alles betrifft nur die Lohnarbeit.

Und all das betrifft nur die Lohnarbeit – die vielfach unbezahlte Care-Arbeit wird hier noch nichtmal mitgenommen. Kinder, Küche, Kirche, wenn wir auf dem Level bleiben wollen, die Sorge um andere behindert unser Wertschöpfungssystem nicht, sie ermöglicht dieses. Mit massivem seelischen Druck (Moral und Mutterliebe) wird Arbeit abgehakt und unsichtbar gemacht. Gestern war Frauentag: Der radikalste Streik im Kapitalismus bestünde sicher darin, wenn Menschen mal einen Tag lang ihre Sorgearbeit ruhen ließen. Das wird nicht passieren – wir wollen nicht, dass unsere Kranken verschimmeln, unsere Kinder überfahren werden. Wir sind erpressbar, weil wir lieben, zum Glück. Diese hirnverbrannten Geschichten sollten wir trotzdem nicht weitererzählen.

Die Märchen von alles entschuldigender Mutterliebe und eben auch vom Aufstieg durch Leistung und von der Allmacht der_des Chef_in ist letztlich nur eines: Zutiefst kapitalistisch. Wir finden sie in vielen weiteren Geschichten, sie den Leuten permanent im Vorabendprogramm einzubleuen ist vermutlich keine Absicht, hat aber in jedem Fall Methode. Warum sagt ein ZDF nicht die Wahrheit: Dass gute Leute fehlen, dass Zuwanderung fehlt, dass auch Arbeitnehmer_innen in ihrer Würde und in ihren Rechten nicht geschädigt werden dürfen? Dass gute Arbeit wichtig ist – in allen Bereichen des Lebens? Und dass sie entsprechend honoriert werden sollte?

Vielleicht, der Seitenhieb sei mir verziehen, ist das in Führungsetagen mit italienischem Parkett noch nicht angekommen. Und das ist die Mutter aller Probleme.

Unser kulturelles Erbe – WTF

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren häufig ungefähr so: „Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Allerdings besteht ein relevanter Anteil unseres kulturellen Erbes aus diskriminierendem Schrott. Das ist nicht ungewöhnlich, aber dabei stehenbleiben sollten wir nicht.

Ich muss nochmal was nachschieben. Letzte Woche habe ich hier über Diskriminierung und Kunstfreiheit geschrieben, am Beispiel von Winnetou, Layla und der Documenta15. Ich will nicht alles nochmal wiederholen, deshalb in aller Kürze:

Kunst ist nicht dazu da, ein politisch korrektes Programm zu bebildern, und sei es noch so ehrenwert.

Umgekehrt kann es aber auch nicht Sinn der Sache sein, gesellschaftliche Debatten in der kreativen Arbeit außen vor zu lassen. Dann entsteht wahrscheinlich – so meine These – schlechte Kunst.

Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe.

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren nun allerdings häufig noch ein wenig anders: „Dieses Buch (oder was auch immer) gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Da deutet sich am Ende schon die Agression an, und der Freigeist der Nation, Siegmar Gabriel, war auch schnell bemüht, diesen Gedankengang salonfähig zu halten.

Vom kulturellem Erbe kann man auch schnell zur Leitkultur denken, und dann einfach nur noch irgendwas von Goethe, Schiller oder deutschem Liedgut stammeln. Damit sind allerdings schon viele auf die Fresse geflogen, ich verlinke sehr gern ein Beispiel.

Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Tatsache ist aber, dass unser kulturelles Erbe voller Beispiele für Bücher, Filme etc. steht, die riesigen Erfolg hatten und als absolut diskriminierend zu beschreiben sind. Natürlich verdeckt Karl May mit seinen romantischen Geschichten, was wirklich mit den Natives in Amerika geschah. Natürlich ist es absolut sexistisch, wenn „Försters Pucki“ an ihrem 4. Geburtstag bereits ihren späteren Ehemann kennenlernt, oder wenn „Trotzkopf“ im Internat zunächst seelisch gebrochen wird, bevor sie sich nach zwei Treffen unter den Augen ihrer Eltern mit dem angemessenen Kandidaten verlobt. Natürlich ist das Traumschiff nationalistisch, rassistisch, kolonialistisch und sexistisch, da weiß ich wirklich nicht, wo ich eigentlich anfangen soll. Nur soviel: Die „MS Deutschland“ (!) ist in wirklich jedem Dschungel bekannt. Und natürlich ist die weichgespülte Vergewaltigungserotik der „Wanderhure“ völlig indiskutabel. Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Früher war die Welt eine andere.

Und selbst künstlerisch deutlich spannendere Werke wie die Bücher von Otfried Preußler sind natürlich nicht frei von kolonialistischen Motiven, das wurde ja bereits vor Jahren breit diskutiert. Nicht weil der Autor Rassist war, sondern weil er ein Kind seiner Zeit war. Man ist kein_e Rassist_in, weil man als Kind gern Karl May gelesen hat, aber es wäre schon gut, das später zu reflektieren und gegebenenfalls auch mit seinen Kindern zu besprechen. Es wäre prima, wenn Verleger_innen, Erzieher_innen, Lehrer_innen dafür Konzepte entwickeln würden, denn Eltern werden das nicht immer leisten können.

Früher war die Welt eine andere. In der Schule wurde geprügelt. Mädchen und Frauen waren von Männern komplett abhängig. Schwarze Menschen galten als minderwertig und gruselig. Von all diesen Missständen sind auch heute noch Aspekte übrig. Deswegen ist diese Debatte unumgänglich. Man muss nicht jeden Schrott erhalten. Man kann ihn vorsichtig ins Archiv legen, bei Bedarf hervorholen und diskutieren – und sich dann was Neues ausdenken. Hoffentlich ist was spannendes dabei. Und hoffentlich heißt die Hauptfigur nicht „Pucki“.

Layla, Winnetou und die Documenta – ein paar Worte zur Freiheit der Kunst

Winnetou, Layla und die documenta – wir diskutieren diesen Sommer hart darum, welche Kunst-/Kulturerzeugnisse wir wollen, und welche nicht. Oft ist dabei von einer übertriebenen Verbotskultur die Rede. Aber vielleicht geht es eigentlich nur um die eine Frage: Ist es denn gut?

Man kann mich mit Fug und Recht als Gutmenschin beschimpfen. Ich wünsche mir, dass jede Form der Diskriminierung abgeschafft wird, bemühe mich darum, eine sensible Sprache zu benutzen und bin prinzipiell geneigt, jedem_r zuzuhören, der_die darauf hinweist, sich von der Gesellschaft benachteiligt zu fühlen. Hoffe ich. Jedenfalls ist das für mich der grundlegendste Wert, den ich habe, und ich wünsche mir, dass das auch für möglichst viele andere Menschen gilt. Dass wir den Umgang miteinander respektvoll gestalten wollen. Amen.


Am allerwichtigsten allerdings ist mir, (und das muss kein Gegensatz sein, kann aber schonmal knallen): Die Freiheit der Kunst. Nicht, weil ich es billigen will, dass unter dem Deckmantel der Kunst Menschen diskriminiert werden, sondern weil die Freiheit der Kunst die Möglichkeit bietet, als Korrektiv zur Gesellschaft aufzutreten und Dinge in die Öffentlichkeit zu stellen, die dort nicht richtig repräsentiert sind. Ein Beispiel: Als das Zentrum für politische Schönheit 2014 die Mauerkreuze aus Berlin stahl um sie an die europäischen Außengrenzen zu bringen, taten sie etwas, was eigentlich gegen das Gesetz verstieß und erschufen ein Ereignis, das auf ein viel größeres und schrecklicheres Verbrechen hinwies -in höchst emotionaler Weise. Ohne die Freiheit der Kunst – und die Bereitsschaft der Macher_innen, sich auf dieses dünne Eis zu begeben – wäre das nicht möglich gewesen. Dafür brauchen wir sie. Auch wenn das keinesfalls bedeutet, dass ich alles gut finde, was unter diesem Deckmantel passiert, auch nicht vom ZpS – man kann sich an dieser Freiheit auch ganz schön verheben. Das nur am Rande.

In diesem Sommer verheben sich so einige an der Debatte.

In diesem Sommer nun verheben sich allerdings so einige in der Debatte. Beispiel 1: Winnetou, weil`s grad so schön aktuell ist. Ich sah gerade einige Beiträge von Medien, die wahrscheinlich ihr wirtschaftliches Wohlergehen über Empörung generieren, verlinken werde ich sie nicht. Las einige Tweets, die mich sehr traurig machten. Und fasse nun zusammen: Deutschland wird von 180 woken Meinungsmachern (sic!) gegängelt, die den Verlag so stark bedrängt haben, dass er feige eingeknickt ist und das Buch (und das Stickerbuch, das Puzzle, die Waschlappen und die Schmerztabletten, denn ein I……r kennt keinen Schmerz, Scherz) aus dem Programm genommen haben. Manchmal werden diese „Linken“ auch „Denunzianten“ genannt. Und dann gibt es noch ein wichtiges Argument: In Deutschland gibt es ja gar keine I……r. Dass das nicht stimmt und dass auch Natives Internet haben und Ländergrenzen deshalb eh irrelevant sind, erwähne ich nur am Rande bzw. verweise auf den Auftritt der Natives auf Instagram.

Wie dem auch sei: Der Verlag hat das Recht, das Buch (und das Poster, und die Badeschlappen und die Tattoovorlage) zu veröffentlichen, er macht es nicht, was sicher finanziell weh tut. Obwohl niemand das Buch verbietet, wird es zurückgenommen. Warum? Weil er gezwungen wird? Wohl kaum, der richtige Shitstorm begann doch erst, nachdem er diese Entscheidung öffentlich gemacht hatte. Möglicherweise (lassen wir den Gedanken einfach mal zu) ist das Verlagsteam vielleicht einfach auf die Idee gekommen… dass die Kritik berechtigt ist? Dass dieses Buch vielleicht nicht genau das Buch zur Thematik ist, dass es jetzt gerade braucht? Oder dass die Argumente der Kritiker_innen ganz schlicht und einfach nicht mehr verschwinden werden und man langfristig – auch aus wirtschaftlichen Gründen – mit der Zeit gehen will?

Vielleicht sollte die Frage gar nicht lauten „Sollte diese Kunst verboten werden?“ – sondern vielmehr: „Ist es denn gute Kunst?“

Dasselbe bei „Layla“ – der Shitstorm begann, als öffentlich wurde, dass das Lied beim Stadtfest nicht gespielt werden würde, „einknickende Denunzianten“ wären vielleicht auch zurückgerudert. Die Sache verhielt sich jedoch anders: Im Jahr zuvor hatten Menschen eine Petition gestartet, damit ein bestimmtes Lied über eine Vergewaltigung nicht mehr gespielt werden würde. Erst danach reagierten Stadtrat und Verwaltung. Die Veranstalter_innen nahmen es aus dem Programm und zogen dann in diesem Jahr von sich aus nach, indem sie auch „Layla“ ausschlossen.

Ich persönlich kann mir eine ganze Menge anderer Lieder denken, die weitaus frauenfeindlichere Texte haben. Aber auch hier greift für mich die Frage: Ist es denn gut? Und ja, „Layla“ mach die Frau zum Objekt und ist ansonsten harmlos. Und Kool Savas, nur mal so als Vergleich, macht die Frau so sehr zum Objekt, dass man fast glauben könnte, dass er es vielleicht nicht so ganz ernst meint und einfach nur selbst die härteste Sau im Stall sein will?! Aber auf dem Stadtfest würde das vermutlich auch nicht funktionieren.

Und dennoch bleibt bei allen genannten Fragen eben nicht die Frage: Müssen wir das verbieten? – es reicht vollkommen, sich zu fragen: Ist es denn gut? Gibt es uns was? Gibt es den Leuten drei Straßen weiter was? Sollten wir Rücksicht nehmen? Dass diese Fragen vielen Menschen völlig egal sind, das ist allerdings ein Problem.

Tja, und dann gibt es natürlich noch die Documenta. Ein riesiges Ereignis, medial, vermutlich auch vorort, ich war nicht da und tue mich schwer damit, mir das alles vorzustellen. Der globale Süden zu Gast in Kassel. Und dann eben Antisemitismus. Die Einschätzungen zur antisemitischen Bildsprache in den Kunstwerken sind absolut plausibel. Die Kritik zur Repräsentation verschiedener Gruppen in den Reihen der Künstler_innen ebenfalls. Aber dann… Viel Empörung, ein Kopf rollt, Entschuldigungen, nächster Skandal. Dass ausgerechnet die „liberale“ Partei vorschlug, die ganze Documenta auszusetzen, ist aus Sicht der Kunstfreiheit natürlich eine super Pointe. Ein Bild, das Antisemitismus reproduziert in Deutschland zu verbieten, kann man diskutieren, klar. Aber ich finde, auch hier greift die schlichte Frage: Ist es denn gut?

Es ist schon um die halbe Erde gewandert, dieses Bild.

Es ist nicht neu, es ist schon um die halbe Erde gewandert, dieses Bild. Noch nie hat es für solche Aufregung gesorgt, wie in Deutschland. Deshalb hätte hier in Kassel unbedingt und ganz ohne Zweifel ein Dialog entstehen müssen, und für diesen gab es kein Konzept. Das ist katastrophal schlecht. Ein schlechtes Konzept. Bei einem Projekt dieser Größenordnung nicht zu entschuldigen. Und nur um das klar zu sagen, ich meine mit „Konzept“ keine Podiumsdiskussion, bei der die immergleichen Haltungen aneinandergeklatscht werden, ich meine eine echte Begegnung mit Menschen, Gedanken, Gefühlen, die uns unbekannt sind. Mit Respekt, Wertschätzung und der Wahrung der Würde aller Beteiligten. Ohne das, kann man es, sollte es sogar ganz einfach lassen.

Ich glaube an Kunst, an die Freiheit der Kunst und daran, dass wir es immer noch besser machen können. Ich bin froh, dass es keine Verbotskultur gibt, jedenfalls nicht in der Form, wie sie auch heute wieder in rechten Tweets besungen wird.

Der einzige Ort, an dem künstlerische Perspektiven hierzulande tatsächlich aussortiert werden (können), ist die Förderpolitik. Und auch da gelten immer dieselben Fragen: Wer ist nicht hier? Wenn sollten wir noch einladen? Und wenn es dann richtig kracht im Gebälk, weil man sich überhaupt nicht versteht: Dann ist es vielleicht gut. Oder auch nicht. Bei der Kunst weiß man nie.

Corona: Die Lösung, bitteschön.

Die Impfquote lässt zu wünschen übrig. Vulnerable Gruppen bezahlen dafür mit ihrer Bewegungsfreiheit. Die Debatte wird dabei eher als Geschrei geführt, gerade in der, ich sag mal ganz vorsichtig, nationalsozialistischen Szene. Auch esoterisch angehauchte Bürgerrechtler_innen haben Probleme. Dabei ist sie ganz einfach: Die Lösung. Macht die Impfung teuer! Dann wird`s schon werden.

Ich hatte mir ja die Impfpflicht gewünscht. Das war natürlich naiv: Wer die beschließt, muss sie auch durchsetzen, das finden viele Wähler_innen NICHT WITZIG, und damit ist die Sache gelaufen, der Drops gelutscht, die Impfpflicht abgelehnt. Möglicherweise hätten Merkel und Spahn die Chance gehabt, die Sache gleich mit den ersten Impfstoffen durchzuziehen, haben sie aber nicht, und nun haben sich die gesellschaftlichen Kräfte formiert. Zwischen Globulis und Hitlergruß ist die sachliche Debatte als erstes hops gegangen, und es tat weh zu sehen, wie Politiker_innen wie die Leipzigerin Dr. Paula Piechotta wirklich noch versuchten, einen auf Fakten basierenden Kompromiss auszuhandeln. Klappte natürlich nicht, und nun feiert: das Virus. Damit haben wir den Salat.

Der worst case, in Deutschland auch Eigenverantwortung genannt, ist eingetreten.

Der worst case, in Deutschland auch Eigenverantwortung genannt, ist eingetreten: „Eigen“ heißt „was mir passt“, und ja, das ist doch fein, ich übernehme gerne die Verantwortung für „was mir passt“. Im Supermarkt tragen manche Maske, manche nicht. Bei der Kassiererin baumelt sie unter der Nase, beim Kollegen ist es eine medizinische Maske. Beim Arzt muss es FFP2 sein, beim Therapeuten 1 auch, bei Therapeutin 2 geht’s ohne. Und im Bus kontrolliert eh keiner. Natürlich gibt es auch jetzt noch Regeln – aber die Einzelhandelskauffrau im Netto kann diese Regeln nicht durchsetzen, sie hat andere Aufgaben, agressive Impfgegner_innen/zahlende Kund_innen rauszuschmeißen gehört nicht dazu, auch wenn sie am Eingang ein Schild aufgehängt hat, man möge die Maske tragen. Wenn der Staat eine höhere Impfquote und die Umsetzung der Maskenpflicht will, dann muss er auch dafür einstehen, das kann er nicht auf das Personal der Supermärkte abwälzen.

Wenn die Maskenpflicht flächendeckend von Karl Lauterbach, oder meinetwegen auch von seinen Kolleg_innen auf Länderebene ausgesetzt worden wäre, dann würde man sie auch leichter wieder einführen können. Ähnlich übrigens wie Schnelltests, Impfungen und Quarantänebeschränkungen. So unübersichtlich, wie die Lage jetzt ist, glaube ich nicht, dass wir ohne dramatische Entwicklungen zu unserer Disziplin zurückfinden. Das geht zulasten der gesundheitlich Schwachen. Dass es gar nicht um Eigenverantwortung geht, sondern vielmehr um Solidarität, das sind Worte einer Spaßbremse. Also z.B. von mir.

Eine Gelegenheit für Impfgegner_innen, sich gesichtswahrend impfen zu lassen.

Was also ist die Lösung? Sie liegt natürlich auf der Hand: Man muss die Maßnahmen besser verkaufen. Vor allem die Impfung. Zunächst einmal sollte man mit einer einschlägig akzeptierten Firma zusammenarbeiten, vielleicht mit Wala, oder mit den Leuten, die diese Kügelchen herstellen. Die sollten dann einen neuen Impfstoff entwickeln, also eigentlich den alten, aber bio und vegan und komplett in Deutschland produziert. Das ist dann die Alternative zu Biontech und Co, und die kostet dann natürlich auch. Das ist die Gelegenheit für Impfgegner_innen, sich gesichtswahrend impfen zu lassen: Dieser Impfstoff ist immerhin pflanzlich, insofern ist das schon ein Kompromiss, auch wenn es 800€ für die Familie gekostet hat, war ein Angebot, und immerhin besser als diese Schulmedizin! Gut für die Impfquote, gut für die Menschen. Ich sag’s ja nur. Das ist die Lösung. Gern geschehen.

Von Sex und Belästigung und behinderten Menschen

Ein Artikel über sexuelle Belästigung durch behinderte Menschen erinnert mich an ganz unterschiedliche Erlebnisse. Reden wir über Sex, Belästigung und behinderte Menschen!

Russland, Corona und Klimakrise, die Nachrichten türmen sich zur Zeit auf – und trotzdem fand ich letzte Woche auf tagesschau.de diesen Artikel, der mich sofort brennend interessierte. Belästigungen von Pflegekräften durch behinderte Patienten seien kein Einzelfall, würden aber unter dem Deckel gehalten, stand da, und plötzlich fiel mit das Kaffeetrinken des Pastors wieder ein. Das war in den 90ern, ich war 16 oder 17.

Damals war Inklusion noch kein Wort, mit Rechten behinderter Menschen hatte ich mich nie befasst, von geistigen Behinderungen erst recht keine Ahnung. Aber ich war fast erwachsen, der Pastor wohnte in der Nachbarschaft und er brauchte dringend Leute: Einmal im Monat holten Freiwillige die Menschen aus dem Heim für geistig behinderte Menschen ab und unternahmen was (Kaffeetrinken eben), und je weniger Betreuer_innen, desto weniger Teilnehmer_innen, das war klar. Zusammen mit einer Freundin willigte ich also ein, man sagte kurz vorher, dass wir bei den Männern wenn nötig einfach sagen sollten, wir hätten einen Freund – und los ging’s.

Ich war natürlich völlig naiv.

Ich war natürlich völlig naiv. Als ich beim ersten Termin noch länger mit einem der jungen Männer auf seinen Bus warten wusste, wurde ich nicht nur gefragt, ob ich einen Freund hätte, sondern regelrecht bestürmt, diesen zu verlassen. Heute würde ich lachen und eine deutliche Grenze ziehen, damals fühlte ich mich einfach nur massiv unter Druck. Beim nächsten Termin griff mir derselbe Mann mit beiden Händen von hinten an die Brust. Niemand hatte das mitbekommen oder sagte etwas dazu, ich kam auch nicht auf die Idee, um Hilfe zu bitten. Die „nicht behinderten“ Menschen aus der Kirchgemeinde erzählten sich, wie erfüllend der Kontakt zu „den Behinderten“ sei. Wie sollten meine Erfahrungen da reinpassen? Auch hatte ich Angst davor, mich erklären zu müssen, befürchtete, dass das Hauptinteresse von Seiten der Kirchgemeinde womöglich darin liegen könnte, mich als Betreuerin zu halten. Ich wollte aber nicht mehr kommen!

Der junge Mann, der mich so heftig angegrapscht hatte, konnte in dieser Situation keine Verantwortung übernehmen. Der Pastor und die Kirchgemeinde waren nicht präsent. Also blieb alles an mir hängen. Ich schob vor, ich hätte zuviel für die Schule zu tun. Der Pastor fragte noch ein paar Mal nach, aber ich blieb dabei. Damit war die Geschichte vorbei, und bis heute habe ich tatsächlich noch niemandem davon erzählt.

Es macht wirklich Spaß, die Gruppe ist nett, alles ist fein.

Jahre später, Niederlande. Mein damaliger Freund hat mir einen Job vermittelt: er und ich und ein Sozialpädagoge fahren mit einer Gruppe geistig behinderter Menschen segeln. Es macht wirklich Spaß, die Gruppe ist nett, alles ist fein. Und im Prinzip, wie auf jeder Klassenfahrt – immer mal wieder gibt es irgendwelche Aufreger, die man dann klären und nach denen man die Ruhe wiederherstellen muss. Es gibt Pärchen, die schon lange zusammen sind, und es gibt frisch Verliebte. Eine junge Frau mit Down Syndrom bändelt mit einem Mann aus der Gruppe (die Behinderung weiß ich nicht) an, sie haben Spaß. Am letzten Tag, alle packen, gehe ich nochmal durch die Zimmer der Frauen um zu gucken, ob jemand Unterstützung braucht. Quatsch, sagen sie alle, und haben bereits weitaus strukturierter gepackt als ich. Die junge Frau mit dem Down-Syndrom wird von ihren Zimmergenossinnen bestürmt, „was“ zu sagen. Sie sei im Bad gewesen und da sei der junge Mann, mit dem sie sich angefreundet habe einfach reingekommen. Das sei nicht in Ordnung, sage ich ihr, und dass ich es mit dem Gruppenleiter bespräche. Als ich ihn sehe, ist allerdings Stress angesagt: Einer unserer Teilnehmer hat sich abgeseilt. Bis er wieder da ist und alles geklärt ist, ist Schlafenszeit, am nächsten Morgen Aufbruch, und irgendwie vergesse ich, mit ihm zu sprechen.

Wenig später, ich bin schon wieder in Leipzig, ein Anruf: Die Eltern der jungen Frau haben Anzeige gegen den jungen Mann gestellt, der Vorwurf: Vergewaltigung. Mir wird schlecht. Wieso habe ich an dem betreffenden Tag nicht geschaltet? Wir tragen im Team zusammen, was wir beobachtet haben, äußerlich waren die beiden ein Herz und eine Seele, und wenn es einvernehmlichen Sex gegeben haben sollte, dann ginge uns das einfach nichts an. Aber natürlich haben wir sie, die Verantwortung, unsere Teilnehmer_innen vor Übergriffen zu schützen, bzw. Ansprechpartner_innen zu sein.

Letztlich sind geistig behinderte Menschen absolut gefährdet, wenn es um Missbrauch geht.

Was nun wirklich geschehen ist? Wir werden es nie erfahren. Die Polizei hat ermittelt, aber es gab keine stichhaltigen Beweise oder Aussagen. Die junge Frau schien nicht traumatisiert (ein Glück!), und so verlief die Sache im Sande. Letztlich sind geistig behinderte Menschen absolut gefährdet, wenn es um Missbrauch geht, denn ihre Aussagen werden noch stärker angezweifelt, als die anderer Opfergruppen. Das betrifft selbstredend auch den Missbrauch durch nicht behinderte Menschen, das sollte man niemals aus dem Blick verlieren.

Ich jedenfalls habe damals richtig Bockmist gebaut. Es mag dafür gute Gründe geben (keinerlei Ausbildung zum Beispiel), unterm Strich bin ich meiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

Jahre vergingen, irgendwann unterrichtete ich Heilerziehungspfleger_innen im Fach Theaterpädagogik und die erzählten mir Geschichten: Von geistig behinderten Menschen, die einsam waren und blieben, von der Frage der Verhütung, und wie Familien damit umgingen, von sexuellen Bedürfnissen, die unerfüllt blieben, und von einigen Pfleger_innen, die in der Spätschicht abends nach 22 Uhr eine Prostituierte anriefen, die regelmäßig ins Heim kam.

Grundsätzlich würde ich immer sagen, dass sexuelle Gewalt, grapschen, bedrängen nichts mit Sex zu tun hat. Eine Menschengruppe aber, die bis in diese intimsten Bereiche hinein reglementiert wird, hat vermutlich nur die Chance, „Gelegenheiten“ zu ergreifen. Das muss furchtbar sein.

Bleibt die Fage: Wer in all diesen Geschichten hat denn wirklich Verantwortung übernommen?

Wieder Jahre später, mein erstes Patenkind wird geboren, es hat Down Syndrom. Schon seine Geburt ist ein Politikum: Über 90% der Kinder mit Down-Syndrom werden abgetrieben. Im Einzelfall würde ich das nicht bewerten, in dieser Masse muss man das meiner Meinung nach bewerten. Einige Jahre später kommt ein zweites Patenkind, ebenfalls schwer behindert. Bei beiden beobachte ich, wie es so läuft mit der Inklusion, mein Interesse an dem Thema wächst. Ich lese Texte von Mareice Kaiser, Ninia LaGrande, Raul Krauthausen. Zum ersten Mal wird mir klar, wie klein wir die Teilnehmer_innen unserer Projekte gemacht haben: Weil wir gar nicht erst versucht haben, Grenzen abzustecken. Weil wir ihnen nicht zugetraut haben, diese zu respektieren. Oder ihre eigenen Grenzen zu benennen. Es gibt sicherlich geistig behinderte Menschen, die all das nicht können. Aber gewiss nicht alle. Wir hätten es wenigstens versuchen müssen.

Meine beiden Patenkinder, das möchte ich am Rande erwähnen, sind beide absolut der Hammer. Aber selbst wenn das nicht so wäre: Sie haben ein Recht darauf, dass man vernünftig mit ihnen kommuniziert. Aktuell vielleicht über Musik und Süßigkeiten. Irgendwann später dann auch über alles andere.

Vier Kinder, ein kranker Mann und die Frage, ob man drüber reden soll. Der Fall Anne Spiegel.

Ich hatte mich bisher nicht mit Anne Spiegel befasst, aber ihre entschuldigenden Worte beschäftigen mich sehr. Eine emotionale Frau die Sorgearbeit leistet, repräsentiert mich doch eigentlich besser, als ein Abgeordneter, der jeden zweiten Abend mit seiner Frau telefoniert?

Ich hatte mich bisher nicht mit Anne Spiegel befasst. Als das Hochwasser im letzten Sommer Menschen tötete und verheerende Schäden anrichtete, war ich schwer krank und bekam wenig davon mit. Dann gab es immer „größere“ Nachrichten: Bundestagswahl. Impfgegner. Ukraine. Der parallel arbeitende Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe zog an mir vorbei. Folglich hatte ich auch keine Meinung zu unserer jetzt Ex-Familienministerin.

Erst nach ihrem Statement, ihrer öffentlichen Entschuldigung am Sonntagabend las ich mich ein – und der ganze Vorgang lässt mich nicht mehr los. Warum?

Ich finde es natürlich nicht gut, wenn Politiker_innen Sachverhalte verschweigen oder sogar lügen. Ich stelle es mir sehr schwer vor, wenn jede SMS öffentlich gemacht werden kann – ich schreibe selber so flapsig, dass ich eine derartige Karierre wohl nie machen könnte. Es gehört aber zum Job, Transparenz auszuhalten – wenn man dann schlecht da steht, hat man das selbst zu verantworten.

Absolut gut, wenn Politiker_innen ein Privatleben haben.

Ich finde es absolut, und das möchte ich betonen, ABSOLUT gut, wenn Politiker_innen ein Privatleben haben. Und damit meine ich nicht Frau und Kinder irgendwo am anderen Ende des Landes. Sondern ein echtes Gestalten dieses Lebens, eine echte Kommunikation und natürlich auch Sorgearbeit. Ich mag ihm Unrecht tun, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Friedrich Merz weiß, in welchem Alter seine Töchter trocken geworden sind, wie ihre besten Kindergartenfreund_innen hießen und welches Pausenbrot sie immer vergammeln ließen. Und da sind familiäre Krisen, Krankheiten, Streit noch gar nicht mit eingeschlossen.

Anne Spiegel hat all das offen gelegt, spät, aber wer würde das schon tun, so lange er_sie nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Sie hat genau das getan, wovon Frauen im Berufsleben immer abzuraten ist: Sie hat emotional, sichtlich unsicher über Schwierigkeiten in ihrem Privatleben gesprochen. Die (männliche) Presse ist damit überfordert. Sie habe „privateste Dinge“ erzählt (Bullshit, ich habe weder von einer Ehekrise noch von einnässenden Kindern oder Haarausfall gehört). Kanzler Scholz müsse schon aus Fürsorgepflicht für ihren Rücktritt sorgen (Anne Spiegel ist eine erwachsene Frau). Sie sei sehr schlecht beraten worden – ja, Angela Merkel hat sich vermutlich an den Kopf gefasst, aber soll es wirklich ein Tabu bleiben, Gefühle zu zeigen, über Mutterschaft und Familie zu sprechen? Die schlechteste Idee in der ganzen Geschichte war aus meiner Sicht, nicht sofort im letzten Sommer mit der ganzen Wahrheit rauszurücken – aber wie sehr wäre sie auch dann von der Öffentlichkeit zerrupft worden? Es ist leider eine Tatsache, dass ein emotionaler und persönlicher Auftritt der eigene Schwächen thematisiert, zumal von einer einigermaßen jungen Frau, dieser nicht zum Vorteil gereicht. Und um mal schön emotional zu bleiben: Das macht mich unheimlich wütend. Denn in einer politischen Landschaft, die so funktioniert, fühle ich mich nicht repräsentiert.

In einer politischen Landschaft, die so funktioniert, fühle ich mich nicht repräsentiert.

Genau wie Anne Spiegel bin ich Mutter. Ähnlich wie ihr Mann bin ich krank und muss Stress vermeiden. Daher kann ich aktuell nicht arbeiten. Meine Erkrankung ist hochemotional: Depression. Eine Volkskrankheit, übrigens eine, die vermehrt Frauen trifft. Ich bin nicht dumm, ich bin gut ausgebildet, aber in einem Politikbetrieb, der so wie oben beschrieben funktioniert, kann ich nicht arbeiten, also auch nicht meine Interessen vertreten. Kein Problem, dafür gibt es ja die repräsentative Demokratie. Nur: Kann mich eigentlich jemand vertreten, der nicht über Lebenskrisen sprechen darf, der sich dem Leistungsgedanken komplett unterwirft, der kaum Sorgearbeit leistet und mit zwei festgetackerten Grübchen durch den Tag trabt? Ernsthaft?

Wo sind sie, die depressiven Abgeordneten? (Die gibt`s mit Sicherheit!) Die alleinerziehenden Minister_innen? Die pflegenden Angehörigen?

Eine kleine Anregung für den_die nächste Familienminister_in: Richten Sie doch bitte mal einen Arbeitskreis (oder so) ein, in dem geprüft wird, wie man potentiellen Kolleg_innen, die Sorgearbeit für sich oder andere leisten, schwer krank, oder sonstwie benachteiligt sind, unterstützen könnte, um in Bundestag und Regierung mitzuarbeiten. Einfach mal konstruktiv an das Thema herangehen. Fänd ich klasse.

Für Anne Spiegel kommt das freilich zu spät. Kein Maskendeal, keine Fake-Firma in den USA, keine Parteispendenaffäre – einfach nur eine mangelhafte Kommunikation und der gute alte Sexismus haben gereicht. Vier Kinder, ein kranker Mann und die Frage, ob man drüber reden soll. Meine Bitte: Redet drüber, alle. Denn was sollen wir sonst tun.