Betreff: Brandmauer

Die Enthüllungen von Correctiv sind ungeheuerlich: Menschen aus der AfD, CDU, Neonaziszene kommen zusammen und besprechen Konzepte zur Deportation unzähliger Menschen. Und die CDU sagt: NIX. Ich habe an Friedrich Merz geschrieben – macht gerne strgc!

An:

CDU-Bundesgeschäftsstelle

Klingelhöferstraße 8
10785 Berlin

E-Mail: friedrich.merz@cdu.de
Telefon: + 49 30 22070-0

Sehr geehrter Herr Merz,

wie Recherchen von CORRECTIV belegen, haben zwei Mitglieder der Werteunion an einem Treffen teilgenommen, bei welchem erörtert wurde, wie man künftig Menschen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft „abschieben“ könne. Zu den anwesenden Redner_innen und Zuhörer_innen gehörten namhafte Mitglieder der AfD, aber auch bekannte Neonazis, die Zusammenkunft diente der Sammlung von Spenden für den oben beschriebenen Zweck. Die Mitglieder Ihrer Partei waren: Simone Baum (Werteunion NRW, Vorstand) und Michaela Schneider ( Werteunion NRW, stellvertretender Vorstand ).

Der ganze Plan verstößt eindeutig gegen das Grundgesetz.

Außerdem ist er absolut menschenverachtend.

Ich habe folgende Fragen:
1. Haben diese beiden CDU-Mitglieder in der Folge dieser Veranstaltung Anzeige erstattet oder zumindest parteiintern auf die Vorgänge hingewiesen?

Wenn nicht:
2. Haben sie gespendet?
3. Welche Konsequenzen wird ihr Verhalten parteiintern haben?

Mit der Bitte um eine öffentliche Antwort-
Solveig Hoffmann

Olaf Scholz wählt AfD

Olaf Scholz tut so, als können man die Herausforderungen der Migration mittels Abschiebungen negieren. Damit erweist er der AfD einen großen Dienst. Es ist beschämend.

Es ist mal wieder Zeit. Eigentlich wimmere ich in puncto Flüchtlingspolitik nur noch leise im Familienkreis vor mich hin und habe keine Lust mehr, mich an jedem Aufreger zu beteiligen. Ich ertrage Friedrich Merz, ich ertrage Philipp Amthor, ich ertrage Markus Lanz, (Precht gucke ich mir gar nicht erst an), ich halte Nancy Faeser aus und eigentlich auch alle anderen. Das geht insofern ganz gut, als ich ja nicht betroffen bin, hurra. Und wenn dann so ein Flugblatt kommt, und so eine lässige Nicht-Erklärung wie bei Aiwanger, dann überkommt mich einfach das Gefühl eines kompletten politischen Kontrollverlusts. Die AfD drängt mehr und mehr in Ämter und ich habe Angst. Wahrscheinlich nicht halb so viel, wie andere Menschen, die sichtbarer auf der Feindesliste stehen.

Und nun also Olaf Scholz und seine Hammeridee, „die Probleme“ dadurch zu lösen, „endlich im großen Stil abzuschieben.“ Das ist ja erstmal eine hochinteressante Idee: Wenn (!) die Wähler_innen mit der Aufnahme von Geflüchteten Ängste oder Ärger empfinden, dann ist die Vorstellung, diese Menschen einfach loszuwerden natürlich reizvoll. Abgesehen von allen moralischen Bedenken lautet die Erzählung dann ungefähr so: Wir haben Leute aufgenommen, dann wurde es uns zuviel, und da haben wir dann nach bestimmten Kriterien Leute ausgewählt und die wieder weggeschickt und die sind jetzt auch weg.

Was für ein Blödsinn!

Wir leben in einer globalisierten Welt. Apfelsinen und Billigschuhe bedeuten eben auch, dass die Welt zusammenrückt. Wir haben von diesem Zustand massiv profitiert und tun es noch. Eine riesige Ungerechtigkeit. Menschen fliehen vor Kriegen und Zuständen, die auch wir durch unsere kolonialen Aktivitäten erzeugt haben. Und es werden noch viel mehr Menschen fliehen, wenn der Klimawandel Fahrt aufnimmt. Wir haben mit unseren Emissionen und unserem (Fleisch)-konsum eine Welt gestaltet, in der wir der Fluchtpunkt sind. Je mehr Menschen kommen, desto absurder wird der Abschiebeplan. Dann müssen wir uns eben fragen: Wollen wir Gewalt, Bewaffnung, im Ernstfall Bürgerkrieg? Oder fragen wir uns vielleicht doch besser: Wie gestalten wir diese Situation zusammen?

Bei unseren Politiker_innen sehe ich leider wenig Bereitschaft, diese Zusammenhänge mit den Wähler_innen zu besprechen. Man macht sich damit nicht beliebt, also greift man lieber zur Merkel-Taktik: Die erzählt bis heute, dass nicht absehbar war, dass 2015 so viele Menschen kommen würden. Bullshit, Sachverständige haben das wieder und wieder gesagt. Aber die Vorstellung, dass es plötzlich über dem Balkan Muslime geregnet haben solle, die hält sich irgendwie hartnäckig.

Da wird viel gelogen. Das nützt der AfD.

Es ist, als ob man den Kindern hartnäckig vom Weihnachtsmann erzählt, obwohl draußen längst andere Leute stehen, die ganz unterschiedlich sind. Aber ES MUSS DER WEIHNACHTSMANN SEIN!!1! Da wird viel gelogen, und auch Olaf Scholz lügt, wenn er so tut, als läge die Lösung für alles was schwierig ist, in mehr Abschiebungen. Er lügt, weil er nicht zugeben will, dass er die Migration nur begrenzt einschränken kann. Und das ist ein direkter Service für die AfD: Politiker_innen die die Migration begrenzen/abstellen wollen, greifen ihre Themen auf. Und, was noch viel schlimmer ist: Politiker_innen, die unhaltbare Versprechungen machen oder wissentlich lügen, bestätigen die Wählerschaft direkt in ihrem Demokratieverständnis. Das ist katastrophal. Der einzige Weg mit der AfD umzugehen, ist authentisch mit den Leuten zu reden. Nicht auf Podien, das wird nur ausgenutzt, aber im direkten Kontakt. Klar und ehrlich für das eintreten, was man selbst auch vertreten kann. Und für sinkende Flüchtlingszahlen würde ich nicht meine Hand ins Feuer legen.

Wem traut ihr das zu? Ich werde schon wieder so müde…

Nicht gut genug.

Was war das für ein Wochenende in Leipzig. Das Urteil gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten hatte wie erwartet mobilisiert und einmal mehr konnte man in Echtzeit beobachten, wie es zur Eskalation zwischen Behörden/Polizei und linken Demonstranten kam. Es ging um Politik, um die leidige Extremismustheorie, um Verhältnismäßigkeit und Grundrechte, Versammlungsfreiheit und Gewalt, und das alles direkt in meiner Nachbarschaft. Nun, nach mehreren Tagen, kreist der Hubschrauber nicht mehr über unseren Köpfen. Ich habe die Augen geschlossen, durchgeatmet, die Augen geöffnet und muss sagen: Das, liebe Leute, war nicht gut genug.

Die Konfrontationen zwischen Polizei und „der“ Antifa haben natürlich eine lange Geschichte, gerade hier im Süden Leipzigs, und diese Geschichte wird zumeist stark verkürzt erzählt: Es gibt keinen linksradikalen Verein, in dessen Satzung steht, man habe monatlich einen Polizisten zu verzehren, oder sonst irgendeinen Unsinn. Oft komme ich in die Verlegenheit, Leute beruhigen zu müssen: Entgegen mancher Berichterstattung lässt es sich in Connewitz gut leben, es gibt ein gutes Krankenhaus, Leipzigs beliebteste Geburtsklinik, es gibt Kleingärten, Spielplätze und Kneipen, alles fein. Es gibt sogar eine ganze Menge Senioren. Und die Geschichte der linken Szene im Stadtteil ist eine lange und hat nicht erst letzte Woche begonnen. Es lohnt sich, sich damit zu befassen.

Und dann gibt es, gerade hier im Süden der Stadt, eben immer wieder diese Zusammenstöße zwischen Polizei und linken Demonstranten. Es ist ein festgefahrener Konflikt, und auch, wenn die Geschichte dieses Konflikts wichtig ist, möchte ich mich jetzt nicht auf die klassische Frage einlassen, wer denn hier angefangen habe, denn WTF – es geht hier um mehr als Schuldzuweisungen. Ich würde sogar so weit gehen, dass es eine Verhöhnung linker Politik ist, sich einzig und allein auf diesem Level abzuarbeiten.

Das Gegenteil von Eskalation.

Und natürlich darf ich als Bürgerin dieses Staates erwarten, dass Behörden und Polizei sich nicht an einer Gewalteskalation beteiligen. Demos einfach zu verbieten ist das Gegenteil von Deeskalation. Und es greift auch zu kurz, dies mit einem Verweis auf die Garantie von Gewaltfreiheit durch den Versammlungsleiter zu tun – jeder Depp kann im Internet zur Gewalt aufrufen und die Gesamtveranstaltung diskreditieren, wie soll denn eine Einzelperson das kontrollieren. Dies wäre Aufgabe der Polizei, denke ich mit meinem schlichten Verstand, oder nicht? Die Verbotslösung war jedenfalls: Nicht gut genug.

Und die Deeskalation ist ja dann auch nicht gelungen. Es gab jede Menge Gewalt, Steine aus der Menge, Aggressivität aus den Reihen der Polizei, unwürdige Bedingungen in der eingekesselten Gruppe, wir kennen die Berichte. Wie können die Verantwortlichen jetzt ernsthaft von einem gelungenen Einsatz sprechen? Was ist denn daran gelungen? Das war: Nicht gut genug! Und von Deeskalation: Keine Spur.

Und das alles passt natürlich ganz allgemein zu vielen Kritikpunkten am Polizeiapparat, an der fehlenden Kontrolle, an fehlender Reflektion, an zu großen Entscheidungsbefugnissen rund um Demonstrationen usw. Weil es dabei um eine ganze Menge geht, möchte ich diesen Punkt noch weiter öffnen: Das Versagen der Polizei rund um das Thema internalisierter Rassismus in den eigenen Reihen, um Polizist_innen mit rechter Gesinnung in den eigenen Reihen, zum Glück gibt es inzwischen wenigstens die Berichterstattung darüber, ich lese z.B. gern bei Gilda Sahebi oder Mohamed Amjahid. Dass unser Staat es nicht schafft, hier wirklich zu reformieren ist existentiell. Und nicht gut genug.

Zieht den Finger aus dem Arsch!

Und das bringt mich zu meiner Kritik an „der“ außerparlamentarischen Linken: Wenn eine Lage so verfahren ist, dann, so sage ich mal ganz unakademisch, dann muss halt auch irgendwer einfach mal den Finger aus dem Arsch ziehen, und sich besser als die anderen verhalten, auch wenn es unfair ist. Es geht nicht darum, wer angefangen hat, es geht darum, ein menschenwürdiges Leben für alle, auch für marginalisierte Gruppen zu ermöglichen, es geht darum, Diskriminierungen abzuschaffen und sich als Staat immer wieder neu zu reflektieren. Das ist, zumindest für mich, das große Ziel. Und davon sind wir nach diesem Wochenende einmal mehr weit entfernt. Jede fliegende Bierflasche, jede brennende Mülltonne bringt neue Stimmen für die AfD, stärkt rechte Netzwerke, deren Rückhalt in der Bevölkerung. Soviel strategisches Denken sollte doch auch in einer aufgeladenen Demo noch möglich sein?! Nicht gut genug!

Diese Aktionen bringen Geflüchteten gar nichts, sie grenzen Kinder und Familien aus, die in der Regel unter diesen Bedingungen nicht mitlaufen werden, sie dienen der Selbstbestätigung, nicht aber der perspektivischen Verbesserung unserer Lebensumstände. Ich wünsche mit eine offene Linke, die sich nicht anbiedert, aber im Gespräch bleibt, und ich weiß auch, dass es viele Menschen gibt, die genau das leben. Die aber am letzten Wochenende wieder einmal nicht zu Wort kamen. Nicht gut genug.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen, unter anderem in Sachsen und Thüringen, mit besten Chancen für Bernd Höcke und Konsorten. An seiner Stelle würde ich in jede Demo ein paar verkleidete Steinewerfer_innen einschleusen, das wirkt sich für ihn nämlich ganz prächtig aus. Wahrscheinlich öffnet er sich dabei sogar einen Sekt. Aber nicht, weil er wirklich was zu bieten hätte. Sondern weil wir nicht gut genug waren. Echt mal.

Also, lasst die Hosen runter, springt in den Zug und ändert was. Siehe Video.

Der Wert von Kunst. Ganz kurz.

Permanent müssen sich Menschen dafür verantworten, dass sie einen nutzlosen Job machen und selber schuld sind, dass sie in prekären Lebensumständen lernen und leben. Ich habe keine Lust mehr, das zu diskutieren. Ich schreibe meine Antwort nun einmal hier auf und werde dann in Zukunft nur noch den Link teilen. Schluss damit, mich immer wieder zu wiederholen.

Ich traf vor einigen Wochen eine äußerst lebhafte Dame, vielleicht 20 Jahre älter als ich und absolut dazu in der Lage, innerhalb von Sekunden eine wilde politische Diskussion anzuzetteln. So stritt sie leidenschaftlich dafür, dass in Deutschland alle Menschen die gleichen Bildungschancen hätten.
Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, PISA-Studie, seit 20 Jahren, blabla, ihr wisst bescheid. Die Chancengleichheit endet in Deutschland spätestens in der Grundschule, alles schön wissenschaftlich belegt.


Ja, hob die Dame wieder an, das möge ja sein, aber sie habe jetzt von Stipendien geprochen, also von der Chancengleichheit im Rahmen eines Universitätsstudiums, da gäbe es doch nun wirklich alle Möglichkeiten.
Hä? Das überraschte mich ja nun wirklich. Also in meinem Studium, wandte ich ein, da hätten ja nun die wenigsten ein Stipendium gehabt, so endlose Möglichkeiten habe es da nicht gegeben… – Jaaaa, antwortete meine Gesprächspartnerin, da müsse man dann natürlich auch Leistung bringen, das sei ja klar!

Was haben Sie denn studiert?

Vor meinem inneren Auge zogen Kommilitonen vorbei, deren Magisterarbeiten den Umfang von Doktorarbeiten hatten, die Monat um Monat in unbezahlten Praktika verbrachten, die auf eigene Kosten nach Berlin fuhren um irgendwelche Inszenierungen anzugucken…
Also ich habe mit 1,1 abgeschlossen, ich glaube nicht, dass es da jetzt um die Leistung geht, antwortete ich leicht zickig.
Was haben Sie denn studiert?
Theater- und Erziehungswissenschaften.
Achsooo… Nun ja, man sollte dann auch schon etwas studieren, was von allgemeinem Interesse ist, was auch gebraucht wird, das ist auch die Aufgabe der Eltern, darauf hinzuwirken, dass ihre Kinder etwas studieren, wovon man auch leben kann…


An dieser Stelle steuere ich die Unterhaltung mal langsam aus. Sie findet natürlich täglich irgendwo statt, permanent müssen sich Menschen dafür verantworten, dass sie einen nutzlosen Job machen und selber schuld sind, dass sie in prekären Lebensumständen lernen und leben. Ich habe keine Lust mehr, das zu diskutieren. Ich schreibe meine Antwort nun einmal hier auf und werde dann in Zukunft nur noch den Link teilen. Schluss damit, mich immer wieder zu wiederholen.

Fakt ist, dass eine Gesellschaft aus vielen Menschen besteht, die miteinander klarkommen müssen.


Also: Gibt es sie, die brotlosen Künste? Na klar! Meine EU-Rente beträgt 600€. Ein Witz.
Kann man daraus ableiten, dass künstlerische Arbeit wertlos ist?
Nein. Natürlich, erst kommt das Fressen, dann die Moral. Das ist aber immerhin schon der zweite Platz, da hat noch keiner seine Steuererklärung gemacht oder den Rasen gemäht.


Fakt ist, dass eine Gesellschaft aus vielen Menschen besteht, die miteinander klarkommen müssen. Aus Identitäten, aus Einzelpersonen und Gemeinschaften. Und es ist absolut wichtig, sich auf all diesen Ebenen zu spüren, kennenzulernen, miteinander umzugehen. Sonst funktioniert das System nicht. Oder es funktioniert eben zu gut.
In einer sächsischen Kleinstadt mit größtenteils rechtsoffenen Bürger_innen wird es immer auch Menschen geben, die sich in dieser Mehrheitsgesellschaft nicht wiederfinden, die anders denken oder fühlen. Die treffen sich nicht im Ingenieursbüro oder in der Anwaltskanzlei. Die treffen sich bei Künstler_innen und Geschichtenerzähler_innen. Bei Sozialpädagog_innen, vielleicht auch in Therapiegruppen. Manchmal in Religionsgemeinschaften. Fast immer bei unterbezahlten Menschen. Wenn es sie nicht gäbe, gäbe es dafür keinen Raum, und ich bin sicher, dass uns der Laden wesentlich häufiger um die Ohren fliegen würde. Vermutlich gibt es auch deshalb ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe.


Und das war`s. Eine bessere Bezahlung wäre wünschenswert, aber vorerst wäre es auch schon nett, wenn der Wert von Kunst nicht mehr permanent in Frage gestellt würde. Herzlichen Dank dafür, auch an die Dame, die mir diese Steilvorlage geschenkt hat. Liebe Grüße! Sol

Unser kulturelles Erbe – WTF

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren häufig ungefähr so: „Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Allerdings besteht ein relevanter Anteil unseres kulturellen Erbes aus diskriminierendem Schrott. Das ist nicht ungewöhnlich, aber dabei stehenbleiben sollten wir nicht.

Ich muss nochmal was nachschieben. Letzte Woche habe ich hier über Diskriminierung und Kunstfreiheit geschrieben, am Beispiel von Winnetou, Layla und der Documenta15. Ich will nicht alles nochmal wiederholen, deshalb in aller Kürze:

Kunst ist nicht dazu da, ein politisch korrektes Programm zu bebildern, und sei es noch so ehrenwert.

Umgekehrt kann es aber auch nicht Sinn der Sache sein, gesellschaftliche Debatten in der kreativen Arbeit außen vor zu lassen. Dann entsteht wahrscheinlich – so meine These – schlechte Kunst.

Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe.

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren nun allerdings häufig noch ein wenig anders: „Dieses Buch (oder was auch immer) gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Da deutet sich am Ende schon die Agression an, und der Freigeist der Nation, Siegmar Gabriel, war auch schnell bemüht, diesen Gedankengang salonfähig zu halten.

Vom kulturellem Erbe kann man auch schnell zur Leitkultur denken, und dann einfach nur noch irgendwas von Goethe, Schiller oder deutschem Liedgut stammeln. Damit sind allerdings schon viele auf die Fresse geflogen, ich verlinke sehr gern ein Beispiel.

Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Tatsache ist aber, dass unser kulturelles Erbe voller Beispiele für Bücher, Filme etc. steht, die riesigen Erfolg hatten und als absolut diskriminierend zu beschreiben sind. Natürlich verdeckt Karl May mit seinen romantischen Geschichten, was wirklich mit den Natives in Amerika geschah. Natürlich ist es absolut sexistisch, wenn „Försters Pucki“ an ihrem 4. Geburtstag bereits ihren späteren Ehemann kennenlernt, oder wenn „Trotzkopf“ im Internat zunächst seelisch gebrochen wird, bevor sie sich nach zwei Treffen unter den Augen ihrer Eltern mit dem angemessenen Kandidaten verlobt. Natürlich ist das Traumschiff nationalistisch, rassistisch, kolonialistisch und sexistisch, da weiß ich wirklich nicht, wo ich eigentlich anfangen soll. Nur soviel: Die „MS Deutschland“ (!) ist in wirklich jedem Dschungel bekannt. Und natürlich ist die weichgespülte Vergewaltigungserotik der „Wanderhure“ völlig indiskutabel. Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Früher war die Welt eine andere.

Und selbst künstlerisch deutlich spannendere Werke wie die Bücher von Otfried Preußler sind natürlich nicht frei von kolonialistischen Motiven, das wurde ja bereits vor Jahren breit diskutiert. Nicht weil der Autor Rassist war, sondern weil er ein Kind seiner Zeit war. Man ist kein_e Rassist_in, weil man als Kind gern Karl May gelesen hat, aber es wäre schon gut, das später zu reflektieren und gegebenenfalls auch mit seinen Kindern zu besprechen. Es wäre prima, wenn Verleger_innen, Erzieher_innen, Lehrer_innen dafür Konzepte entwickeln würden, denn Eltern werden das nicht immer leisten können.

Früher war die Welt eine andere. In der Schule wurde geprügelt. Mädchen und Frauen waren von Männern komplett abhängig. Schwarze Menschen galten als minderwertig und gruselig. Von all diesen Missständen sind auch heute noch Aspekte übrig. Deswegen ist diese Debatte unumgänglich. Man muss nicht jeden Schrott erhalten. Man kann ihn vorsichtig ins Archiv legen, bei Bedarf hervorholen und diskutieren – und sich dann was Neues ausdenken. Hoffentlich ist was spannendes dabei. Und hoffentlich heißt die Hauptfigur nicht „Pucki“.

Vier Kinder, ein kranker Mann und die Frage, ob man drüber reden soll. Der Fall Anne Spiegel.

Ich hatte mich bisher nicht mit Anne Spiegel befasst, aber ihre entschuldigenden Worte beschäftigen mich sehr. Eine emotionale Frau die Sorgearbeit leistet, repräsentiert mich doch eigentlich besser, als ein Abgeordneter, der jeden zweiten Abend mit seiner Frau telefoniert?

Ich hatte mich bisher nicht mit Anne Spiegel befasst. Als das Hochwasser im letzten Sommer Menschen tötete und verheerende Schäden anrichtete, war ich schwer krank und bekam wenig davon mit. Dann gab es immer „größere“ Nachrichten: Bundestagswahl. Impfgegner. Ukraine. Der parallel arbeitende Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe zog an mir vorbei. Folglich hatte ich auch keine Meinung zu unserer jetzt Ex-Familienministerin.

Erst nach ihrem Statement, ihrer öffentlichen Entschuldigung am Sonntagabend las ich mich ein – und der ganze Vorgang lässt mich nicht mehr los. Warum?

Ich finde es natürlich nicht gut, wenn Politiker_innen Sachverhalte verschweigen oder sogar lügen. Ich stelle es mir sehr schwer vor, wenn jede SMS öffentlich gemacht werden kann – ich schreibe selber so flapsig, dass ich eine derartige Karierre wohl nie machen könnte. Es gehört aber zum Job, Transparenz auszuhalten – wenn man dann schlecht da steht, hat man das selbst zu verantworten.

Absolut gut, wenn Politiker_innen ein Privatleben haben.

Ich finde es absolut, und das möchte ich betonen, ABSOLUT gut, wenn Politiker_innen ein Privatleben haben. Und damit meine ich nicht Frau und Kinder irgendwo am anderen Ende des Landes. Sondern ein echtes Gestalten dieses Lebens, eine echte Kommunikation und natürlich auch Sorgearbeit. Ich mag ihm Unrecht tun, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Friedrich Merz weiß, in welchem Alter seine Töchter trocken geworden sind, wie ihre besten Kindergartenfreund_innen hießen und welches Pausenbrot sie immer vergammeln ließen. Und da sind familiäre Krisen, Krankheiten, Streit noch gar nicht mit eingeschlossen.

Anne Spiegel hat all das offen gelegt, spät, aber wer würde das schon tun, so lange er_sie nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Sie hat genau das getan, wovon Frauen im Berufsleben immer abzuraten ist: Sie hat emotional, sichtlich unsicher über Schwierigkeiten in ihrem Privatleben gesprochen. Die (männliche) Presse ist damit überfordert. Sie habe „privateste Dinge“ erzählt (Bullshit, ich habe weder von einer Ehekrise noch von einnässenden Kindern oder Haarausfall gehört). Kanzler Scholz müsse schon aus Fürsorgepflicht für ihren Rücktritt sorgen (Anne Spiegel ist eine erwachsene Frau). Sie sei sehr schlecht beraten worden – ja, Angela Merkel hat sich vermutlich an den Kopf gefasst, aber soll es wirklich ein Tabu bleiben, Gefühle zu zeigen, über Mutterschaft und Familie zu sprechen? Die schlechteste Idee in der ganzen Geschichte war aus meiner Sicht, nicht sofort im letzten Sommer mit der ganzen Wahrheit rauszurücken – aber wie sehr wäre sie auch dann von der Öffentlichkeit zerrupft worden? Es ist leider eine Tatsache, dass ein emotionaler und persönlicher Auftritt der eigene Schwächen thematisiert, zumal von einer einigermaßen jungen Frau, dieser nicht zum Vorteil gereicht. Und um mal schön emotional zu bleiben: Das macht mich unheimlich wütend. Denn in einer politischen Landschaft, die so funktioniert, fühle ich mich nicht repräsentiert.

In einer politischen Landschaft, die so funktioniert, fühle ich mich nicht repräsentiert.

Genau wie Anne Spiegel bin ich Mutter. Ähnlich wie ihr Mann bin ich krank und muss Stress vermeiden. Daher kann ich aktuell nicht arbeiten. Meine Erkrankung ist hochemotional: Depression. Eine Volkskrankheit, übrigens eine, die vermehrt Frauen trifft. Ich bin nicht dumm, ich bin gut ausgebildet, aber in einem Politikbetrieb, der so wie oben beschrieben funktioniert, kann ich nicht arbeiten, also auch nicht meine Interessen vertreten. Kein Problem, dafür gibt es ja die repräsentative Demokratie. Nur: Kann mich eigentlich jemand vertreten, der nicht über Lebenskrisen sprechen darf, der sich dem Leistungsgedanken komplett unterwirft, der kaum Sorgearbeit leistet und mit zwei festgetackerten Grübchen durch den Tag trabt? Ernsthaft?

Wo sind sie, die depressiven Abgeordneten? (Die gibt`s mit Sicherheit!) Die alleinerziehenden Minister_innen? Die pflegenden Angehörigen?

Eine kleine Anregung für den_die nächste Familienminister_in: Richten Sie doch bitte mal einen Arbeitskreis (oder so) ein, in dem geprüft wird, wie man potentiellen Kolleg_innen, die Sorgearbeit für sich oder andere leisten, schwer krank, oder sonstwie benachteiligt sind, unterstützen könnte, um in Bundestag und Regierung mitzuarbeiten. Einfach mal konstruktiv an das Thema herangehen. Fänd ich klasse.

Für Anne Spiegel kommt das freilich zu spät. Kein Maskendeal, keine Fake-Firma in den USA, keine Parteispendenaffäre – einfach nur eine mangelhafte Kommunikation und der gute alte Sexismus haben gereicht. Vier Kinder, ein kranker Mann und die Frage, ob man drüber reden soll. Meine Bitte: Redet drüber, alle. Denn was sollen wir sonst tun.

Ich fühl’s nicht. Der Wahlkampf auf Instagram.

Aus einer eigenartigen Faszination heraus folge ich schon lange Philipp Amthor auf Instagram. Es ist langweilig (Texte) bis verstörend (Bilder). Vor der Wahl habe ich mein Interesse auf Spitzenpolitiker_innen aller großen Parteien ausgedehnt.

Ich fühl’s nicht. Die Bundestagswahl 2021 steht unmittelbar bevor, und anstatt Argumente vorgetragen zu bekommen, gucke ich mir bei einem blauhaarigen YouTuber an, welche Politiker_innen besonders korrupt sind. Das sind Inhalte, die besprochen werden müssen. Und im Gegensatz zu den Kolleg_innen im Bundestag hat er verstanden, wie social media funktioniert. Literally.

Da wäre zum Beispiel die CDU. Das Strickmuster von Amthor geht so: Gestern war ich in/an/auf ___________. Gute Gespräche und spannende Diskussionen mit __________. Danke _______ für die Organisation dieser Veranstaltung! Gemeinsam konnten wir zeigen: Kluge Sachpolitik statt linker Experimente! Plus Bild von Amthor in Anzug und mit einem Karpfen. Oder so. Wahrscheinlich hat er sich diesen Lückentext auf den Unterarm tätowiert, er nutzt ihn jedenfalls ausgiebig. Noch nie dürfte ich lesen, was diese klare Sachpolitik für Ziele verfolgt, worin sie besteht… Nix. Also mal lieber bei Armin Laschet vorbeischauen.

Da läuft der Laden nämlich.

Nordrhein-Westfalen. Armin Laschet postet gern zu Nordrhein-Westfalen. Da läuft der Laden nämlich. Ansonsten sieht man viele Bilder mit einem freundlichen Gesicht (ja, ich meine schon seins). Je näher die Wahl rückt, desto größer ist natürlich schon der Druck, insofern verirren sich inzwischen auch Zeilen aus dem Parteiprogramm in die Texte. Was diese mit seiner Person zu tun haben, was ihm besonders wichtig ist, wie er persönlich Politik gestalten will? Ich fühl’s nicht und ich lese es auch nicht.

Als Sahnehäubchen dann noch Friedrich Merz dabei zuzusehen, wie er durch das Sauerland marschiert (spaziert kann ich da einfach nicht sagen) gibt der Sache dann den Rest: Merz würde alles tun, damit ihm die CDU wieder gehört, und wenn er für dieses Instagram raus in die Natur muss, dann bitte. Er geht mit der Zeit. Und die Zeit geht ihm bitte aus dem Weg.

Und wie sieht’s bei den Freund_innen der CDU aus, was macht die FDP? Christian Lindner postet fleißig, bringt auch ein paar Inhalte unter und zählt gerne die anstehenden Wahlkampf-Termine aus. Alles ganz ordentlich gemacht. Ich fühl’s trotzdem wieder nicht, und der Grund ist banal: Ich bin eine arbeitsunfähige Künstlerin, die auf die 40 zugeht und kein Wohneigentum hat. Mich gibt es bei der FDP nicht. Wir haben uns nichts zu sagen. Ich werde „es“ nicht aus eigener Kraft schaffen. Wohlwollend nehme ich noch zur Kenntnis, dass Lindner sich einen Bart hat stehen lassen, so dass man die aktuellen Bilder von denen der letzten Wahl unterscheiden kann. Und damit bin ich raus.

Ich muss hässlich lachen.

Wenden wir uns den linken Parteien zu, denke ich, muss hässlich lachen und suche nach Olaf Scholz. Der megalinke Shootingstar der Umfragen. Natürlich auch auf Insta. Allein… Er postet nichts! Alle paar Jahre mal ein blasser Text, keine Stories, die SPD ernährt sich von alten Leuten, und die sind nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs. Und außerdem klappt es so prima, sich einfach hinter Laschet zu verstecken während dieser vor sich hinonkelt, dass man da noch nicht früher drauf gekommen ist… Jedenfalls: Keine Ahnung, wofür Olaf Scholz inhaltlich steht, ich weiß nur Cum-Ex und Wirecard. Obwohl er dazu auch nichts schreibt. Aber das kommt irgendwie in jedem Text vor, den ich über ihn lese. Danke, liebe informierte Texteschreiber_innen!

Die CDU wird natürlich nicht müde zu beschwören, dass es nach der Wahl ein rot-rotes Bündnis geben würde, und dass damit Stalin kurz vor Berlin stehen würde, praktisch. Das ist natürlich möglich, aus dem Instagram-Auftritt von Janine Wissler geht das eigentlich aber nicht hervor. Hier findet man fundierte Überschriften zu Texten, die es nicht gibt, Auflistungen von Tourdaten und Fotos von Plakaten in Bildzeitungsoptik. Keine Ahnung, welchen Bezug die Kandidatin zu ihren Themen hat. Keine Ahnung, was sie auf Instagram überhaupt will. Auch hier gilt wieder: Ich fühl’s nicht.

Da steckt viel Arbeit drin.

Gibt es denn auch ein Positivbeispiel? Na klar, ich habe es mir bis zum Schluss aufgehoben: Annalena Baerbock und Robert Habeck. Jeden Tag posten sie beide einen längeren Text, in dem sie erst auf die Orte eingehen, die sie besucht haben, von dort zu einem Thema kommen, ihren Bezug dazu erklären und dann auf die betreffenden Pläne ihres Programms eingehen. Da steckt viel Arbeit drin, soviel Arbeit macht sich keine andere Partei. Vermutlich verschrecken die langen Texte bildungsferne Wähler_innen, grundsätzlich sind sie aber einfach und klar formuliert. Von den Grünen weiß ich ziemlich genau was sie wie machen wollen. Isso.

Insgesamt aber war der Wahlkampf auf Instagram beleidigend langweilig. Und so hoffe ich einmal mehr, dass die Zeit der Trielle und großen Reden schnell vorbeigeht. Wen ich wähle? Normalerweise erzähle ich das nicht. Aber dieses Mal ist es einfach:

Ich habe einen kleinen Sohn. Ich will nicht, dass er gegrillt wird. Deshalb wähle ich die Partei mit dem besten Klimaschutzkonzept. Und das sind objektiv die Grünen. Ob mit Instagram oder ohne.

Bitte wählt die auch. Das fühle ich. Danke.

PS: Falls irgendein Schlaumeier anmerken möchte, dass ich die AfD vergessen habe: Ja. Das war auch so gemeint. Danke.

PPS: Und die CSU? Ich folge Andi Scheuer. Textende.

Von Pädagogik in Kultur und Sport

Mein Sohn interessiert sich für Fußball. Anlass für mich, über die integrative Kraft von Sport nachzudenken und ziemlich unzufrieden mit den Fußballvereinen zu werden.

Wieder und wieder wird die integrative Kraft des Sports beschworen. Als mein Sohn sich für Fußball interessiert, mache ich mir Gedanken und vergleiche Kultur- und Sportpädagogik in Bezug auf Integration. Spoiler: Der Sport schneidet nicht so toll ab.

Und dann war es passiert: Mein kleiner Sohn stand fasziniert am Rand des Fußballplatzes und sah den kickenden „großen“ Jungs zu. Vor meinem inneren Auge zog das nächste Hobby in unsere Familie ein, ein weiteres Hobby, mit dem ich nichts am Hut habe: Sportvereine. Als hätte seine Autoleidenschaft mir nicht gereicht. Nun also: Fußball.

Damit wir uns richtig verstehen: Gegen den Sport „Fußball“ habe ich nichts, im Gegenteil, ich habe selbst gespielt. Mit der inoffiziellen Mannschaft der Theaterwissenschaft SPVGG Nemesis bolzte ich jeden Sonntag durch den Park, und unser einziges Spiel gegen die Medizin verloren wir nur knapp (0:6). Das Ganze war eine wunderbare Erfahrung, ging es in dieser Mannschaft doch darum zu lachen und befreundet zu sein. Seitdem mache ich (wieder) gerne Sport. Nur eben ohne das Leistungsprinzip.

Und noch ein weiterer Punkt zum richtigen Verständnis: Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, wenn talentierte Kinder und Jugendliche ihren Sport auf hohem Niveau betreiben und danach streben, besser zu werden – so sie das selber wollen. Ich möchte niemanden aufhalten. Aber dass es im Schulsport weniger um Leistungssport und mehr um Gesundheitsförderung gehen sollte, ist meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit.

Es geht immer mehr um Leistung.

Da stand er nun also, mein Sohn, eine Horde Grundschüler kickte hingebungsvoll, ein Vater/Torwart gab den Trainer und viele schlaue Anweisungen. Später am Abend ließ ich meine Gedanken schweifen und googlete ein paar Leipziger Fußballclubs. Auf der Ebene der „Bambini“, also der Kindergartenkinder, war viel von Spiel und Spaß die Rede, die Leistung stand nicht im Vordergrund. Nach und nach sollte dann während der Grundschulzeit das Spielen gegen andere Vereine etabliert werden, mit anderen Worten Tuniere. Es geht also von Jahr zu Jahr mehr um Leistung. Wer Fußball spielt, möchte das Spiel gewinnen, das liegt in der Natur der Sache.

Gedanklich wanderte ich weiter zu zahllosen Gelegenheiten, bei denen die integrative Kraft des Sports und die Wichtigkeit der Sportförderung hervorgehoben wurden. Und dann eben wirklich zum Traumziel der Kinder und Jugendlichen, dem Spitzensport. Der Spitzenfußball ist reich, mehr als reich. Aber integriert er die Menschen? Ein kurzer Blick zurück auf die EM und die Haltung der UEFA zum Bekenntnis zu LGBTQI+ reicht, um Grenzen sichtbar zu machen. Und überhaupt, diese Haltung um jeden Preis unpolitisch zu sein, was ganz offensichtlich sowieso nicht funktioniert – führt die zur Integration von Menschen, oder steht ein Arbeiter in Katar nicht doch eher draußen? Und mit „draußen“ meine ich außerhalb eines Raums, in dem Menschenrechte und Menschenwürde von Bedeutung sind. Könnte die FIFA nicht einfach sagen, jawohl, wir halten uns raus aus der Tagespolitik, aber die UN-Menschenrechtskonvention, an die halten wir uns öffentlich? Würde halt viele nice Geschäfte stören.

Da war ich nun bei den großen politischen Unstimmigkeiten des Spitzensports angekommen, und dabei war ja noch nichts weiter passiert, nur ein paar kickende Jungs und ein faszinierter Sohn. Aber was würde geschehen, falls er wirklich in einen Sportverein gehen wollen würde? Ich würde ihn natürlich lassen. Und insgeheim würde ich seinen Verein, die dortige sportpädagogische Arbeit mit der kulturpädagogischen Arbeit vergleichen, die ich früher gemacht habe, die soviele Kolleg_innen immernoch machen. Gehen die Trainer_innen auf die Ideen der Kinder ein? Gibt es „richtig/falsch“, oder werden alle Gedanken der Kinder aufgegriffen? In welcher Weise wird bewertet? Und, ganz wichtig, wer wird integriert und wer nicht? Tatsächlich werden Mädchen bei den Vereinen immerhin theoretisch integriert. Inwiefern ausländische Kinder und Jugendliche im Sportverein landen dürfte davon abhängen, ob sie jemanden kennen, der ihnen den „Weg“ dorthin zeigt. Behinderte Kinder und Jugendliche? Damit müssen sich Sportvereine anscheinend nicht befassen.

Für mich war das normal.

Für mich war das aber normal: Lernbehinderung. Autismus. Rollstuhl. Ab auf die Bühne und eine Inszenierung machen, dabei das Kind in seinen Kompetenzen sehen und wertschätzend fördern. Ein Kind das kein Deutsch sprach? Ab auf die Bühne, dann machen wir halt Pantomime. Eine extrem talentierte Jugendliche? Da muss ich eben vermitteln, damit alle zusammenarbeiten können. Denn bei aller individuellen Förderung: Die Inszenierung soll schon trotzdem schön sein, damit auch alle stolz darauf sein können.

Diese Anforderungen sind anstrengend, aber ich will sie auf keinen Fall mindern. Nein, ich will, dass sie auf den Sport ausgedehnt werden, weil das ganz einfach echte Integration bedeuten würde. Es kann ja nicht sein, dass alle, die integriert sein wollen Theater spielen müssen – ist ja auch nicht jedermanns Sache. Rollstuhlfahrer_innen in die Fußballvereine! Auch wenn sich deren Arbeit dann verändern muss. Gerade weil sich deren Arbeit dann verändern muss.

Bislang kenne ich nur einen Verein, dem ich das theoretisch zutrauen würde: Roter Stern Leipzig e.V. Aber wie cool wäre es, wenn es nicht nur eine mixed abled Tanz-Company im LOFFT gäbe, sondern auch eine mixed abled Mannschaft bei RB-Leipzig?

Man wird ja noch träumen dürfen. Mein Sohn träumt auch.

Was mir fehlt: politische Wünsche die wieder nicht erfüllt werden und warum mir das Angst macht.

In der Mittagspause höre ich fast täglich Radio. Seit September habe ich deshalb das Vergnügen, der vor sich hin röchelnden Regierungsbildung kleinteilig beizuwohnen. Darüber ist fast alles gesagt – auch zur SPD. Zig verschiedene Positionen sind nicht nur denkbar, sondern auch legitim, zum Personal, zur GroKo, zum Koalitionsvertrag und zum Mitgliederentscheid. Eines aber kann ich nicht mehr hören: „Wir müssen jetzt schnell eine stabile Regierung hinbekommen, sonst… (blabla)…AfD.“

Mein Eindruck: Die einen hoffen, dass die AfD sich innerhalb der nächsten 3,5 Jahre selbst erledigt, und man sie so lange nur irgendwie eindämmen muss. Die anderen erzählen sich und jedem, der es hören möchte, dass man mit ein wenig gesunder Realpolitik/mehr Geld im Portemonnaie der Bürger auch AfD-Wähler „zurückgewinnen“ könne. (Zu dieser „Rückgewinnungsthese“ habe ich ja schonmal sehr pessimistisch geschrieben.) Diesbezüglich hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen ja hier und da auch gute Sachen rausgeholt. Aber, liebe SPD, liebe andere Parteien, ich verzichte gern auf 25€ mehr Kindergeld, wenn ihr euch endlich mal mit dem großen Ganzen beschäftigt: Einem Entwurf, wie diese Gesellschaft ihre Spaltungen überwinden kann!

Gesellschaftliche Spaltung überwinden

Spaltungen, die sehe ich massiv zwischen denen, die in einem Deutschland mit 16 Bundesländern und als Teil von Europa angekommen sind, und denen, die schon das nicht annehmen können. Zwischen denen, die die Vorzüge von Geld und Bildung genießen, und denen, die nicht nur wenig davon haben, sondern sich auch noch dank des Narrativs der „Asis“, „Hartzer“ und „Schmarotzer“ dafür schämen sollen. Und natürlich zwischen denen, die unsere diverse Gesellschaft als solche akzeptieren, und denen, die dies ablehnen.

Die große Frage lautet doch: Wie können wir in einer Gesellschaft leben, ohne uns gegenseitig zu diskriminieren?

Das hat mit Geld zu tun, aber eben nicht nur mit Geld. Man müsste z.B. mal anerkennen, dass unsere Gesellschaft überhaupt divers ist. Damit haben CDU/CSU bekanntlich schon gewaltige Probleme. Dass nun ausgerechnet die Partei, die AfD-Positionen eifrig kopiert, auch noch mit dem Innen- und Heimatministerium (frei formuliert) belohnt werden soll, ist eine Ungeheuerlichkeit, die in meinen Augen nicht zu rechtfertigen ist.

Sachsen: AfD ist Mainstream

Nächstes Jahr wird in Sachsen gewählt. Die AfD wird voraussichtlich die stärkste Kraft werden. In Berlin mag sich das anders anfühlen, aber hier stimmen 56% der Bürger der Aussage zu, unsere Gesellschaft sei durch Ausländer überfremdet. Der MDR sendet unkommentiert rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen. Die Landesregierung schiebt in vorauseilenden Gehorsam munter ab. Freunde und Kollegen aus anderen Regionen, die zufällig nicht weiß sind fragen zögernd „wie schlimm ist es denn… Kann ich dich besuchen, oder ist das gefährlich?“

Wir brauchen ganz ganz dringend eine Partei, die ein Konzept gegen diese Spaltung hat. Und zwar nicht als tolles Alleinstellungsmerkmal, sondern weil sie wirklich dafür einstehen will. Ich sehe sie nicht. Das macht mir richtig Angst. Keine Pointe.

Immer das Geld.

Neulich fand ich beim Spaziergang mit dem Sohn 10 Pesos. Wir bewunderten die goldene Münze, steckten sie zum Spielen ein, und ich war nur ganz kurz enttäuscht, dass es kein „echtes“ Geld war. Und dabei wurde mir das mal wieder klar: Wie viel ich in letzter Zeit über Geld rede. Über Geld, das habe ich 2017 gelernt, redet man nämlich vor allem dann, wenn man keines hat.

Freiheit in der Freiberuflichkeit

Ich liebe die Freiheiten, die mir die Freiberuflichkeit manchmal bietet: Vor allem die Chance, mir selbst Projekte auszudenken. Wie oft höre ich andere Menschen bitterlich klagen: über idiotisch konstruierte Programme, Ressourcen-fressende Organisationsstrukturen und inhaltlich verfehlte Entscheidungen von „oben“. Großartige Kolleg_innen verschleißen sich in Dienstreiseanträgen und Routine-Aufgaben. Man würde gern soviel anders machen, und es geht nicht. Nicht. Nicht. Nicht.

All dem versuche ich mich durch die Freiberuflichkeit zu entziehen, und das war mir lange eine Menge Geld wert. Wie ich schon in meinem ersten Artikel hier auf diesem Blog schrieb: Ich bin immerhin ein bisschen frei.
Natürlich musst auch ich mich an die Logik von Fördermittelvergabe und Vernetzungsstrategien anpassen. Natürlich siebe auch ich inzwischen meine Ideen ganz automatisch und überlege, ob sie förderfähig sind, bevor ich viel Zeit investiere. Natürlich muss auch ich immer wieder Mitstreiter_innen finden. Und Kooperationen mit Institutionen sind auch nicht immer leicht, wenn man allein auf der anderen Seite steht. Aber meinen Tagesablauf bestimme ich selbst, und dazu gehört eben auch, die freie Wahl zu haben, ob ich für ein bestimmtes Projekt MEHR mache. Mit dem Geld kam ich in der Vergangenheit irgendwie hin, es reichte und ich hatte Spaß. Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung sind siamesische Zwillinge, das wissen alle in der Branche.

Zurück aus der Elternzeit

Diese Freiheit hat sich verändert. Man weiß es ja irgendwie, aber es ist doch heftig: Aus der Elternzeit zurückkommen und sich umstellen. Plötzlich schlagen die Risiko-Faktoren der Freiberuflichkeit härter zu:
1. Faire Bezahlung: Ich achte darauf, dass meine Projektstunden einigermaßen fair bezahlt werden – unter bestimmte Grenzen gehe ich nicht und wünsche mir das auch von meinen Kolleg_innen. Was aber ist mit den vielen Arbeitsstunden, die einfach nie vergütet werden: Für Antragstellung (und hundertfache Überarbeitung, die Feedbackrunden nehmen da ja manchmal kein Ende), Vor- und Nachbereitung, Verwaltung etc.? Aus meiner Sicht das größte Problem.
2. Krankheit: Krank werden sollte man nicht – ich bin auch schon mit verstauchtem Fuß über vereiste Straßen zur Probe gehinkt. Stundenausfall wird nicht bezahlt. Aber ich war ja gesund! Nun allerdings wollen auch noch die Infekte des Sohns versorgt werden. Bleibe ich zwei Tage zu Hause, bekomme ich von der Krankenkasse 20€. Und war gegebenenfalls aus Auftraggeber_innensicht unzuverlässig. Yay.
3. Zeit für Vernetzung: Die Zeit ist knapp, viele Gelegenheiten, potentielle Kooperationspartner_innen zu treffen verstreichen. Im Zweifel, weil ich eine Deadline schaffen muss. Oder weil ich jetzt eben einfach ein Familie habe.

Während die Kolleg_innen um mich herum allerdings immer betriebsamer auf mich wirken, muss ich mir selbst eingestehen, dass ich doch die Schlimmste von allem geworden bin: 2017 habe ich gearbeitet wie verrückt.

Gearbeitet wie verrückt

Ich habe Wochenendarbeit mit Kind auf dem Rücken, Abendarbeit mit Kind neben mir im Bett, Teamrunde mit Kind und Spielzeug in der Mitte und telefonisches Bewerbungsgespräch mit Kind das Gegenstände durchs Badezimmer wirft erlebt (doch, den Auftrag habe ich bekommen). Mit juckenden geschwollenen Händen (Hand, Mund, Fuß, ja, zu Hause kommen die tollsten Keime an) habe ich eine Bewerbung getippt und bin 10 Tage später mit sich schuppenden, verheilenden Händen zum Bewerbungsgespräch gefahren. In der schlimmen Norovirus-Nacht habe ich meinen Sohn gehalten, am nächsten Morgen habe ich geduscht, meine Hände mit Sterilium Virugard behandelt und bin in die Nachbarstadt gefahren – wichtige Termine. Und in manchen Monaten habe ich mit all dem 300 € verdient.

So war es doch immer schon…

Andere Eltern werden abwinken: „so war es bei uns doch immer schon!“ – oder entsetzt sein: „such dir doch eine Stelle“ – ich persönlich bin wütend. Dass mein Engagement so wenig wert sein soll. Die meisten meiner Aufträge werden schließlich streng geprüft, und anders als bei so liederlichen Vorhaben wie einem Flughafen oder einem S-Bahntunnel darf ich mich niemals verkalkulieren – auch nicht um nur 50 €. Falls ich jemals den Kleinunternehmerinnen-Status verliere (also mehr als 17500 € jährlich verdiene), werde ich auch saftig Umsatzsteuer abführen müssen, die ich mangels Ausgaben nicht wieder reinholen können werde. Es lohnt sich also noch nicht einmal für mich, irgendeinen Wunderauftrag zu generieren, der mich finanziell so richtig schön ausstattet. Und schließlich arbeite ich hauptsächlich mit gesellschaftlich relevanten Gruppen (Kinder, Jugendliche, Geflüchtete etc.), deren Wichtigkeit immer wieder betont wird. Und die man gern mit billigen Honorarkräften preiswert versorgt. Oder genauer: Die unser Staat mit seiner demokratisch gewählten Regierung und seinem Steueraufkommen gern preiswert mit sich selbst ausbeutenden Honorarkräften versorgt. Die der Institution das unternehmerische Risiko abnehmen und von dem Lohn noch nicht einmal ein (!) Kind ernähren können.

Und das betrifft nicht nur Künstler_innen: Der freie Bildungssektor, die Reinigungsfachkräfte, Übersetzer_innen und und und. Einzelunternehmer_innen sind billig. Vor allem, weil man nicht jede Stunde bezahlen muss.

Ich wiederhole mich: Ich war immer gerne frei. Freiheit heißt inzwischen auch, dass ich meinen Teil zum Familieneinkommen beitragen kann. 2018 hat gerade erst begonnen, und ich bin auf der Suche: Nach einer neuen Strategie. Vorschläge sind sehr willkommen.