Offener Brief des Bienenlands an Burkhard Jung

Von Staatschef zu Staatschef: Am Dienstag besuchte eine Delegation des Bienenlands die Kindersprechstunde des Chefs von Leipzig, Burkhard Jung. Mit dabei: Ein Brief voller Probleme, die aus Sicht des Bienenlands auf internationaler Ebene angegangen werden müssen. Herr Jung versprach Antwort, den kompletten Brief findet ihr unten. Die BienenbürgerInnen hatten indes auf ihrer Auslandsreise großen Spaß und freuen sich über weitere Begegnungen.

Lieber Herr Chef von Leipzig,

vielleicht wissen Sie das noch gar nicht, aber seit einem Jahr gibt es in Leipzig ein neues Land: Das Bienenland. Das Bienenland ist ein sehr kleines, aber freies und lustiges Land. Es hat ungefähr 40 BürgerInnen und residiert zur Zeit in einer Projektwohnung in der Hildegardstraße 49. Die BienenbürgerInnen kommen aus sehr vielen unterschiedlichen Ländern, zum Beispiel Syrien, Tschetschenien, dem Sudan, Irak, Deutschland uvm. Unsere Nationalspeise sind Honigwaffeln und unsere Nationalhymne heißt Coco Jambo. Wir lieben es Feste zu feiern und tun das auch, wann immer möglich. Wir treffen uns oft zu Versammlungen, bei denen viele Wort fallen. Gibt es in Ihrem Land Leipzig auch Versammlungen? Und was machen Sie, wenn diese Versammlungen langweilig sind?
Letzte Woche fanden in Bienenland Wahlen statt und wir haben eine Chefin für die Mädchen und einen Chef für die Jungen gewählt. Außerdem gibt es bei uns zwei Problemchefs. Die Problemchefs hören sich die Probleme der BienenbürgerInnen an und schreiben sie auf. Manche dieser Problem müssen wir dann in Bienenland besprechen, z.B:

„Jemand hat bei der Wahl gesagt, dass er mir viel Schmuck gibt, wenn ich seinen Namen auf den Wahlzettel schreibe.“
oder
„Ich habe ein Problem, weil jemand mich schlägt und sagt, dass ich dumm bin.“

Was machen Sie, wenn es in Leipzig Bestechungen gibt? Oder wenn sich Leute beschimpfen oder schlagen?

Manche Probleme haben aber auch nichts mit Bienenland zu tun und können deshalb auch nicht in Bienenland gelöst werden, z.B.

„Ich habe ein Problem mit meiner Mama. Warum kauft sie mir nicht ein neues Handy? Ich habe sie gebeten, dass sie mir ein neues Handy kauft.“

„Ich habe ein Problem mit allen Jungs in meiner Klasse. Wir sind zehn Jungs in der Klasse und nur 9 Mädchen. Das ist nicht gerecht.“

Gibt es in Leipzig auch einen Problemchef? Wenn ja, dann würden wir gerne mit dieser Person sprechen. Manchmal haben wir nämlich auch Probleme, für die der Leipziger Problemchef zuständig sein müsste:

„In Syrien war ich in der 7. Klasse und dann in Italien war ich in der 6. Klasse. Und jetzt bin ich in Deutschland gehe ich in die 4. Klasse. Dabei bin ich schon 12 Jahre alt. Wieso ist das so? In meiner Klasse sind alle viel jünger als ich, die interessieren sich nicht für die gleichen Sachen, wie ich. Wie soll ich da neue Freunde finden?“

„Ich möchte gerne in die Schule gehen. Ich gehe gern in die Schule.“

„In meiner Klasse gibt es keinen Sportunterricht. Ich will aber Sport machen, wie alle anderen.“ (hat sich erledigt)

„Ich möchte gerne ein schönes Zuhause. Ich möchte nicht mehr im Heim wohnen. Das Heim ist nicht gut. Wir waren schon in Dresden, alles war gut. (Naja, nicht alles: Wir hatten für alle Leute nur zwei Toiletten, eine für Mädchen und eine für Jungen.) Dann mussten wir nach Leipzig, aber keiner sagte uns, warum. Jetzt sind wir in einem Heim mit vielen Kakerlaken. Draußen ist es sehr kalt, deswegen sind jetzt alle Kalerlaken bei uns drin.“

Vielleicht haben Sie eine Idee, wie im Land Leipzig diese Probleme gelöst werden könnten?

Falls Sie mal in einem neuen Land leben müssen, können Sie gerne nach Bienenland kommen. Bei uns ist jeder willkommen und wer Bürger von Bienenland werden will, kann sich selber einen Pass basteln.

Mit freundlichen Grüßen
Die BienenbürgerInnen

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Theater Frauen Netzwerk Leipzig – viel Austausch und eine Umfrage

Seit einigen Monaten gibt es ein regelmäßiges Treffen einiger Frauen aus Leipzig, die Theaterberufe ausüben und sich austauschen: Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig. Ulrike Bedrich und ich haben es gegründet, und es wurde rasch gemütlich: Nette Kolleginnen, viele Ideen, leckere Kekse – und ziemlich schnell auch einige vorsichtige Fragen:

  • Fühlen wir uns in unserem Job als Frauen überhaupt benachteiligt?
  • Sind nicht viele der Probleme, die wir bei unseren Arbeitsbedingungen wahrnehmen, allgemeine Probleme der Branche? Was davon betrifft uns als Frauen in besonderem Maße?
  • Und geht es darum bei einem solchen Netzwerktreffen eigentlich? Oder wollen wir eigentlich nur eines: netzwerken?

Fragen, die sicherlich auch von anderen Frauen und in anderen Branchen gestellt werden, und die leider oft in verhärtete Diskussionen führen. Man kann diese Fragen als unnötig abtun (und die von der Künstlersozialkasse ermittelten Einkommensunterschiede ignorieren), man kann auf Basis des persönlichen Erlebens argumentieren (und sich damit auf politischer Ebene lächerlich machen), man kann in vergeistigte Gefilde abheben (und über gegebenenfalls vorhandene Zustände einfach hinwegschweben anstatt etwas zu verändern). Es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Strategien, sich Fragen der Gleichstellung zu entziehen, eine gute Zusammenstellung lässt sich etwa in den völlig abwegigen Sendungen von Plasberg zu diesem Thema beobachten.

Was im Theaterbereich einfach fehlt, ist eine Studie zu diesem Thema. Die Versuchung ist groß, an dieser Stelle zu den typischen Sexismen der Branche abzuschweifen, allein, es wird nicht helfen, denn sich darüber zu ärgern wird leider nicht ausreichen: Nicht um die obigen Fragen zu beantworten und schon gar nicht, um etwas zu verändern. Ich lebe in Sachsen, einem Bundesland, in dem aus der Regierung seit 1989/90 kein einziger Impuls zum Thema Gleichstellung erfolgt ist. Und wenn Kulturschaffende, ganz gleich um welche Fragen es geht, sich nicht von selbst einmischen, dann wird sich die Kulturpolitik selten in ihrem Sinne entwickeln. So funktioniert Interessenvertretung nicht.

Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig hat deshalb eine eigene kleine Umfrage entwickelt. Wir sind keine Soziologinnen und wir haben diese für uns fachfremde Arbeit ehrenamtlich nebenher erledigt. Weil wir Antworten auf unsere Fragen brauchen, weil wir eigene Argumente entwickeln und vertreten können wollen. Gerne auch, um unsere Ergebnisse dafür einzusetzen, hinterher eine größere, bessere Studie anzuschieben. Bereits jetzt interessieren sich Menschen für diese Umfrage, die starke PartnerInnen werden könnten; z.B. die Bundestagsabgeordnete Dr. Eva Högl, mit der wir uns letzte Woche trafen. Und die sich all unsere Wünsche notiert hat.

Deshalb freuen wir uns, wenn ihr, liebe LeserInnen, mitmacht! Egal ob Mann/Frau/drittes Geschlecht, wenn ihr im Theaterbereich in Sachsen arbeitet, sind wir interessiert an euren Erfahrungen! (Wenn nicht, dann auch, allerdings nicht im Fragebogen…) Es geht uns um Geschlechtergerechtigkeit in jeglicher Hinsicht, also ist uns jede Position wichtig. Macht mit, verbreitet weiter, in Stadttheater wie in der freien Szene. Und wenn ihr mehr wissen wollt: Nächste Woche stellt Ulrike Bedrich die Umfrage im Rahmen einer Veranstaltung zur Situation der Frauen im Kulturbereich in der Stadtbibliothek Leipzig vor. Am 3.12.2015, 17-19 Uhr. Kommt vorbei!

Hier der Link zur Umfrage.

„I think you forgot me“ – #merkelstreichelt

„I think you forgot me“ – so begrüßte mich am letzten Mittwoch ein schwer von Narben gezeichneter Mann im Asylbewerberheim in der Torgauer Straße. Wir hatten uns schon mal unterhalten. Er lächelt fortwährend, spricht überaus freundlich auf englisch, er ist allein in Deutschland und sucht dringend eine Wohnung. Vor einigen Wochen bat er mich dabei um Hilfe. Ich sagte ihm, dass ich mich umhören würde, ihm aber nichts versprechen könne, denn solche Gespräche führe ich immer wieder, und ich habe leider einfach keine Wohnungen. Und auch nicht die Kapazitäten, allen die fragen bei der Wohnungssuche zu helfen. Ich schaffe es nicht. Es sind zu viele.

Zu viele? Moment mal!

„Wenn wir jetzt sagen “Ihr könnt alle kommen”, und “Ihr könnt alle aus Afrika kommen” und “Ihr könnt alle kommen”, das können wir auch nicht schaffen.“ Quelle: Leitmedium

Einen Tag später ging das Video des Gesprächs zwischen der Bundeskanzlerin und einem Mädchen mit Fluchthintergrund durchs Netz. Und ich sage es mal andersrum als viele andere: Sie war keinen Deut besser als ich.

Natürlich  hat sie in ihrer Position einen größeren Gestaltungsspielraum, und ich freue mich sehr, wenn die katastrophale Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ins Blickfeld gerückt wird. Wenn der hashtag #merkelstreichelt trendet, steckt da neben wichtiger Kritik aber auch richtig viel Schadenfreude drin. Man gönnt es der Merkel, jetzt PR-mäßig mal schön in der Klemme zu stecken. Ich gönne es ihr auch, immer druff.

Unangenehm ist mir aber, dass das Bild eines Mädchens, das seinen Standpunkt mutig und eloquent vertreten hat, jetzt als „weinendes Flüchtlingsmädchen“ rumgereicht wird. Unangenehm ist mir auch der Gedanke, dass der eingangs erwähnte Mann mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Narben vermutlich nicht dazu taugen würde, Merkel derart in Verlegenheit zu bringen. Und der angetrunkene Mann, der 2 Bänke weiter saß sowieso nicht. Kein gutes Kameramaterial.

Wir freuen uns, dass echtes menschliches Fühlen eine PR-Aktion sprengt? Ich bin dabei! Aber das sollte dann bitte auch menschliche Folgen haben: Nicht ähnliche PR aus der anderen Richtung.

Das kann es doch nicht gewesen sein.

PS: Der Moderator des Gesprächs, Felix Seibert-Daiker, war spitze!