Gemeinschaft doppelt: Eine Projektentwicklung

Eine Mail in Kinderschönschrift abgeschrieben? Das obige Foto erzählt den Start für ein neues Projekt, das sich in den kommenden Monaten entwickeln wird: Das Labor für Kooperation und Kollision erforscht das Thema Gemeinschaft. Träger ist der famose Verein Interaction in Kooperation mit Blühende Landschaften, und warum das Thema, wenn man es ernst meint, einen leicht in den Wahnsinn treibt, das beschreibe ich jetzt.

Gemeinschaft: Ein Thema

Das Thema „Gemeinschaft“ beschäftigt Katharina Wessel und mich seit der Gründung des Bienenlands 2015. Die aktuellen politischen Debatten heizen das natürlich an: „GehörtderIslamzuDeutschlandaberdieFrauenrechteundwasmachenwirmidenHartzernVeganernFeministinnenTransgender?“ Spalten ist leicht. Eine positive Vision von einer diversen Gemeinschaft zu entwickeln nicht. Danach suchen wir.

Nun könnte ich fix das Konzept beschreiben, die beteiligten Künstlerinnen nennen und fertig. Nur: Da wir es mit dem Thema ernst meinen, ist es so leicht eben nicht.

Gemeinschaft: Die Arbeit

Unser Anspruch: Unsere künstlerische Forschungsfrage spiegelt sich auf allen Ebenen der Projektorganisation wider. Kein brüllender Chef der seine demokratische Vision auf die Bühne diktiert. Sondern eine Gruppe, die sich kleinschrittig vorwärts tastet. Sich dabei selbst beobachtet. Und die dabei generierten Beobachtungen künstlerisch umsetzt.

Allein der Anspruch der Diversität ist schon schwierig umzusetzen: Auf unsere an viele spannende Kolleg_innen geschickte erste Einladung hin kamen nur Frauen. Männliche Kollegen sagten freundlich ab, gern mit dem Hinweis, wir könnten uns nochmal melden, wenn ihre Aufgabe im Projekt konkret beschreibbar sei. Da es uns um die gemeinsame Konzeptentwicklung ging, scheiterte die Diversität in puncto Geschlecht im Leitungsteam schon beim ersten Treffen.

Künstler_innen mit Migrationshintergrund – zum Glück gibt es sie, auch in Leipzig. Oder? Künstlerisch sollte es natürlich auch passen, denn nochmal: Es ging auf dieser Ebene darum, gemeinsam zu konzipieren. Nur weil wir eine diverse Gruppe sein wollen, muss unser Ansatz einen syrischen Tänzer noch lange nicht interessieren. Oder? Mit einer amerikanischen Kollegin wuchs das Konzeptionsteam schließlich nach der Bewilligung des Antrags auf 6 Personen an. Eine Frau aus einem westlich geprägten Kulturkreis. Ist das divers? Ja und nein. Ist das schnuppe? Vielleicht…

In diesem Team verwalten wir nun also Geld, organisieren und konzipieren. Darum herum entwickelt sich eine immer größere Gruppe, Männer, Frauen, verschiedene Kulturen und Geschichten. Am Anfang haben wir eingeladen, einmal im Monat, um Menschen zu finden, die mitmachen wollen – inzwischen hat dieser Teil des Projekts ein Eigenleben entwickelt. Hier denkt kaum jemand an künstlerische Endergebnisse. Hier wohnt der Spaß. Ist das Gemeinschaft: Der lenkende inner circle und die lockere Gruppe?

Gemeinsam, nicht gleich sein.

Die Menschen, die wir hier über Spiele und Kochabende ans Projekt binden, werden im Sommer teilweise mit uns in einer mobilen Architektur im öffentlichen Raum auftreten.

Wir werden Passanten zuhören und selbst erzählen. Wir werden Räume so gestalten, dass Menschen verweilen oder schnell wieder gehen werden. Wir werden Gemeinschaft spüren und spürbar machen. Und dabei werden wir unterschiedliche Funktionen erfüllen. Wir werden nicht gleich sein. Ist das genug?

Nicht nur Kunst über Gemeinschaft zu machen, sondern diese auch noch aktiv und anspruchsvoll zu gestalten fühlt sich an, wie eine eMail in Schönschrift abzumalen: Mühsam, künstlich, erstaunlich. Doch es ist uns ernst. Nicht, weil wir tolle gute Menschen sind, sondern weil das unser Thema ist. Und deshalb höre ich jetzt auch auf, allein von diesem Projekt zu berichten.

Wir wagen Gemeinschaft! Das ist unser Untertitel. Ich wage deshalb Vielstimmigkeit: Über dieses Projekt berichte ich in Zukunft mit Interviews.

Künstlerische Leitung & Organisation (Bauleitung): Johanna Dieme, Franziska Furcht, Jamie Grasse, Solveig Hoffmann, Laura Kröner, Katharina Wessel

Mitwirkende: Wael Alhamed, Alfred Fayad, Louise Wonneberger + X

Produktionsleitung: Blühende Landschaften

Eine Projekt von interaction Leipzig e.V./ gefördert im Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes

Ich vermisse. Nicht.

Neulich hörte ich mich sagen:

„Ehrlich gesagt vermisse ich meine Arbeit null.“

Und dann war ich einen Moment ganz still, weil mich dieser Satz selbst so überraschte.

Ich gehöre definitiv zu den Selbstverwirklicherinnen, die in ihrer Arbeit immer Sinn, persönliche Entwicklung und Bestätigung gesucht haben. Anders kann ich die Arbeit als Freiberuflerin auch nicht vor mir rechtfertigen, verstößt sie doch gegen eine ganze Menge soziale Standards, die ich eigentlich eingehalten wissen möchte. Und tatsächlich gehören zu meiner Arbeit einige Projekte, die mir all das gegeben haben.

Und natürlich weiß ich noch nicht, wie sich die Elternzeit in drei Monaten anfühlen wird. Und denke auch manchmal mit Schrecken daran, wie ich mein Arbeitsleben ab 2017 organisieren soll, wie schwierig das Zeitmanagement wird, und was ich alles so bald nicht wieder werde machen können.

Vor Jahren las ich Bascha Mikas Buch „Die Feigheit der Frauen“, las vom Vorschieben des Privatlebens, vom Hintenanstellen der Karierre vieler Frauen, und es erschien mir sehr einleuchtend. Mir würde das nicht passieren, ich würde meine beruflichen Interessen nicht hinter meinen privaten einordnen!

Schon lange weiß ich, dass ich so nicht bin, und mein Kind bestätigt mich darin einmal mehr. Und mehr noch: Ich finde, dass Bascha Mika einen wichtigen Punkt verdreht, oder besser: Einen verdrehten Punkt nicht zurückdreht (Kann man einen Punkt überhaupt verdrehen? Egal, Punkt vor Strich, mit einem Flachwitz aus der Affäre gezogen.)

Möglicherweise liegt der Fehler vieler Frauen nicht darin, ihr berufliches Streben dem Privatleben unterzuordnen, sondern vielmehr darin, nicht wütend zu thematisieren, dass das Privatleben offenbar untergeordnet werden soll, wenn sie Erfolg haben wollen. Und wieso zum Teufel sollte sich irgendjemand zwischen Beruflichem und Privatem entscheiden WOLLEN? Männer wie Frauen wollen wohl beides?

Und ich genieße jetzt eben mal mein Privatleben:
Ich habe seit Monaten nicht mehr gedoodlet.
Die Rede von Carolin Emcke habe ich nicht hastig in einzelnen Zitaten überflogen, sondern ganz gehört.
Und ich bin jeden Tag im Hellen draußen.

Und dann habe ich auch noch ein Kind, und das ist sehr unterhaltsam.

So. Es ist 20:19 Uhr. Wer heute „noch was machen muss“, darf mich jetzt eine Runde beneiden.

Theater Frauen Netzwerk Leipzig – viel Austausch und eine Umfrage

Seit einigen Monaten gibt es ein regelmäßiges Treffen einiger Frauen aus Leipzig, die Theaterberufe ausüben und sich austauschen: Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig. Ulrike Bedrich und ich haben es gegründet, und es wurde rasch gemütlich: Nette Kolleginnen, viele Ideen, leckere Kekse – und ziemlich schnell auch einige vorsichtige Fragen:

  • Fühlen wir uns in unserem Job als Frauen überhaupt benachteiligt?
  • Sind nicht viele der Probleme, die wir bei unseren Arbeitsbedingungen wahrnehmen, allgemeine Probleme der Branche? Was davon betrifft uns als Frauen in besonderem Maße?
  • Und geht es darum bei einem solchen Netzwerktreffen eigentlich? Oder wollen wir eigentlich nur eines: netzwerken?

Fragen, die sicherlich auch von anderen Frauen und in anderen Branchen gestellt werden, und die leider oft in verhärtete Diskussionen führen. Man kann diese Fragen als unnötig abtun (und die von der Künstlersozialkasse ermittelten Einkommensunterschiede ignorieren), man kann auf Basis des persönlichen Erlebens argumentieren (und sich damit auf politischer Ebene lächerlich machen), man kann in vergeistigte Gefilde abheben (und über gegebenenfalls vorhandene Zustände einfach hinwegschweben anstatt etwas zu verändern). Es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Strategien, sich Fragen der Gleichstellung zu entziehen, eine gute Zusammenstellung lässt sich etwa in den völlig abwegigen Sendungen von Plasberg zu diesem Thema beobachten.

Was im Theaterbereich einfach fehlt, ist eine Studie zu diesem Thema. Die Versuchung ist groß, an dieser Stelle zu den typischen Sexismen der Branche abzuschweifen, allein, es wird nicht helfen, denn sich darüber zu ärgern wird leider nicht ausreichen: Nicht um die obigen Fragen zu beantworten und schon gar nicht, um etwas zu verändern. Ich lebe in Sachsen, einem Bundesland, in dem aus der Regierung seit 1989/90 kein einziger Impuls zum Thema Gleichstellung erfolgt ist. Und wenn Kulturschaffende, ganz gleich um welche Fragen es geht, sich nicht von selbst einmischen, dann wird sich die Kulturpolitik selten in ihrem Sinne entwickeln. So funktioniert Interessenvertretung nicht.

Das Theater Frauen Netzwerk Leipzig hat deshalb eine eigene kleine Umfrage entwickelt. Wir sind keine Soziologinnen und wir haben diese für uns fachfremde Arbeit ehrenamtlich nebenher erledigt. Weil wir Antworten auf unsere Fragen brauchen, weil wir eigene Argumente entwickeln und vertreten können wollen. Gerne auch, um unsere Ergebnisse dafür einzusetzen, hinterher eine größere, bessere Studie anzuschieben. Bereits jetzt interessieren sich Menschen für diese Umfrage, die starke PartnerInnen werden könnten; z.B. die Bundestagsabgeordnete Dr. Eva Högl, mit der wir uns letzte Woche trafen. Und die sich all unsere Wünsche notiert hat.

Deshalb freuen wir uns, wenn ihr, liebe LeserInnen, mitmacht! Egal ob Mann/Frau/drittes Geschlecht, wenn ihr im Theaterbereich in Sachsen arbeitet, sind wir interessiert an euren Erfahrungen! (Wenn nicht, dann auch, allerdings nicht im Fragebogen…) Es geht uns um Geschlechtergerechtigkeit in jeglicher Hinsicht, also ist uns jede Position wichtig. Macht mit, verbreitet weiter, in Stadttheater wie in der freien Szene. Und wenn ihr mehr wissen wollt: Nächste Woche stellt Ulrike Bedrich die Umfrage im Rahmen einer Veranstaltung zur Situation der Frauen im Kulturbereich in der Stadtbibliothek Leipzig vor. Am 3.12.2015, 17-19 Uhr. Kommt vorbei!

Hier der Link zur Umfrage.

positive gossiping: über Theater.Frauen

Laut KSK-Zahlen verdiene ich als Frau jährlich vermutlich 5000 € weniger als ein Mann meines Alters und Berufs.

Von diesen 5000 € könnte ich endlich nach Neuseeland reisen. Eine tolle Altersvorsorge bezahlen. Ich könnte auch einfach weniger arbeiten.

Stattdessen bin ich am letzten Samstag zur Konferenz „Theater.Frauen“ nach Berlin gefahren. Und war einmal mehr erstaunt, wie unterschiedlich Menschen auf das Thema „Frauen im Theater“ zugehen, heißen die Parameter für mich doch ganz einfach: Geld und Respekt.

Im Workshop von Polasek&Grau wurde das ganz besonders deutlich, und es ist ihr Verdienst, dass sie die dadurch entstehende Diskussion nicht abgewürgt haben, obwohl der ursprünglich geplante Ablauf vermutlich etwas anders gedacht war. Im entstehenden Gespräch trafen Menschen, die sich seit Jahren mit Gender- und Gleichstellungsfragen beschäftigen auf sehr nachdenkliche Workshopleiterinnen, die der Thematik teilweise skeptisch gegenüberstanden. Und zum ersten Mal habe ich verstanden, warum viele Frauen jeglicher Genderdiskussion so distanziert begegnen: „Ich will doch kein Opfer sein.“ Ich teile die Annahme dahinter überhaupt nicht, denn Missstände zu benennen macht mich meines Erachtens nicht zum Opfer – und doch frage ich mich seither, was denn schiefgegangen ist, wenn aus einer Genderdebatte gefühlt eine Opferdebatte wird. Und ich bekomme Lust: mehr zu fordern, öfter zu verhandeln. Kurz: Mehr zu kriegen!

Im zweiten Workshop von Elisa Müller (Label müller*****, LAFT Berlin) ging es dann nach einem Überblick über die raren Zahlen zu Frauen in der freien Szene (es gibt Frauen in der freien Szene! viele!! und sie schätzen die flexiblen Arbeitszeiten!) schnell um all die typischen Fragestellungen rund um das Arbeiten als Freischaffende/r. Der Focus lag somit bald gar nicht mehr auf den Frauen, und wie sollte er auch: Eine ausführliche Studie fehlt. Vielmehr hatte die Runde den Charakter eines Austauschs über ein für Frauen wichtiges Beschäftigungsfeld und wurde als solcher auch genutzt.

Richtig schön war dann aber die Podiumsdiskussion zum Abschluss. Zum ersten Mal in meinem Leben saß ich vor einem Podium, das nur mit Frauen besetzt war – da ist es dann auch nicht mehr nötig, über role models zu sprechen. Eine äußerst unterhaltsame Runde war es noch dazu. Und ja, es bestärkt mich, wenn ich höre, wie Susanne Kennedy ihre Gagen verhandelt. Richtig spannend wurde es dann bei der Frage nach einer Frauenquote für bestimmte Berufe/Leitungspositionen im Theater – spannend vor allem, weil sie einhellig eher abgelehnt wurde. Der Eingriff in die künstlerische Freiheit der IntendantInnen sei zu groß. Lieber finanzielle Anreize bei besonderem Engagement. Alles verständlich, wenn es um das Maxim-Gorki-Theater unter der Leitung von Shermin Langhoff geht. Aber in der sächsischen Stadttheaterszene? Bei mir blieb der Eindruck, dass diese Argumentation nachvollziehbar, aber auch ein wenig bequem ist. Denn vermutlich hätte so mancher Aufsichtsrat irgendeines Automobilkonzerns auch sehr gern ein mächtiges Narrativ wie das der Kunstfreiheit bemüht, so er denn gekonnt hätte…

Was bleibt? Das Rad war schon lange erfunden, etwas wirklich Neues habe ich in Berlin nicht entdeckt – eher Bestärkung erfahren. Aber einen neuen Begriff gelernt, sogar eine neue Taktik: Positive Gossiping. Reden wir positiv – z.B. über (andere) Frauen! Fragt jemand nach qualifizierten Kollegen (!) – nennen wir die Namen von 5 Kolleginnen! Ganz einfach, um uns gegenseitig Aufmerksamkeit zu verschaffen, letztlich gehört zu werden.

Bisher fallen mir diese 5 Namen auch nicht immer so schnell ein. Aber ich übe jetzt. Und mache den Anfang mit diesem Artikel: „Theater.Frauen“ war eine richtig schöne Veranstaltung. Entstanden aus einer Idee von 2 Studentinnen der Theaterwissenschaft von der FU Berlin: Maria Nübling und Christina Gassen. Ich musste mehrfach an Facebook-Fotos heranzoomen, um diese Namen hier reinschreiben zu können.

Aber jetzt. Positive gossiping!