Manchmal erlebt man sowas: Man arbeitet an einem Projekt, das einen eigentlich schon ausfüllt, und trotzdem kriegt man immer noch ein bisschen mehr geschenkt und aufgebrummt. Was einen berührt, beschäftigt, womit man fertig werden muss.
Für das Bienenland war ich eine Woche lang mit geflüchteten Kindern im Leipziger Osten unterwegs: einkaufen, Spielplatz, Straßenverkehr, das normale Alltagsprogramm. Aber was ist normal?
Mit 5 lauten Kindern die auf arabisch rumbrüllen und um die Wette rennen um den Ketchup zu holen wird man streng abgescannt. Dann stehe ich da: höflich, freundlich, weiß. Irgendwie sogar besonders höflich. Als ob ich was beweisen wollte. Und zu mir sind denn auch alle supernett. Wäre das genauso, wenn ich ein Kopftuch tragen würde? Ich erspare den Kindern und mir den Versuch.
Wir kaufen im Discounter ein Spielzeug. Auch hier: freundliches Personal, die Kinder werden genau beobachtet. Ich kann das sogar nachvollziehen: Einige der Kinder sind seit Generationen bittere Armut gewohnt, und die drückt sich in einem großen „haben wollen“ aus. Ich bin streng und kaufe trotzdem mehr als beabsichtigt. Und verdammt, wenn sie jetzt ein paar Gummibärchen klauen würden – wäre das nicht absolut verständlich?
Das Spielzeug ist nach 5 min kaputt. Die Kinder erwarten, dass ich richtig sauer werde. Nein, sage ich, wir bringen es zurück und kriegen das Geld wieder! Diese Option kennen gerade die Roma- Kinder nicht. Ich stelle mir vor, wie eine große serbisch sprechende Gruppe den T€di entert und alles mögliche umtauschen will. Und muss grinsen.
Und dann zeige ich den Kindern, wie man das macht. Wieder das Gefühl, besonders freundlich behandelt zu werden.
Ich stehe bei Aldi und suche das Apfelmus. Ein Mädchen spricht mich an. Wir kennen uns, aber woher? Aus einem früheren Angebot… Ich lade sie ein, ins Bienenland zu kommen. Nein, sagt sie, sie darf nicht, sie hat keine Papiere.
Das ist kein Wortwitz, sondern bittere Realität. Und der Moment, an dem mir immer noch schlecht wird. Ein Kind, 12 Jahre, ist illegal in Deutschland und nimmt deshalb nicht an unserem Projekt teil.
Ich gebe ihr meine Telefonnummer und hoffe, dass sie anruft. Tut sie nicht.
Ein kleiner Junge aus unserer Gruppe rennt auf die vielbefahrene Eisenbahnstraße. Ich kann ja sehr laut werden. Nun steht da also diese kleine, dreckige Frau in ihren Malerhosen und brüllt die Kinder zusammen. Und alle gucken. Und ich habe das Gefühl, dass viele diese deutschen Frauen ganz schön merkwürdig finden.
Abend vor der Präsentation. Ich bin todmüde, mache noch einige Einkäufe. Ein älterer dunkler Mann spricht mich in gebrochenem Deutsch an. Ich wimmle ihn ab, weiß nicht, was er will, möchte einfach nur meine Ruhe.
An der Kasse treffen wir uns wieder. Und ich habe Gelegenheit, mich zu sammeln: Muss ich nicht gerade nach dieser Woche nochmal nachhaken, mich aufraffen und Vorurteile überwinden?
Er ist total nett. Wir kennen uns vom Sehen aus der Torgauer Straße. Ich habe ihn seit jenem Abend hin und wieder gesehen und jedesmal freundlich gegrüßt. Aber so freundlich wie er kann ich gar nicht sein. Denn er freut sich wie ein Schneekönig. Als ob ihn sonst keiner grüßen würde.
Ängste, Unsicherheiten, latenter Rassismus – kennen wir leider schon, und meiner Meinung nach ist niemand zu 100% frei davon. Wir funktionieren über Kategorien und haben die Verantwortung, nun ja, menschlich mit diesen umzugehen. Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das selbst geschafft habe. Allein dieser Text strotzt vor Annahmen und Vermutungen.
Aber eigentlich bin ich doch nur mit Kindern einkaufen gegangen?
Ein Gedanke zu „Bienen-Nachschlag: Eine Woche in Leipzig“