Schwarzweiß – Über den „Normalzustand“ in Sachsen

Die folgenden Zitate enthalten rassistische/beleidigende Begriffe. Ich gebe diese so wieder, wie ich sie gehört habe, um die Situationen präzise beschreiben zu können. Die konkreten Situationen verkürze und verändere ich in Bezug auf alles, was die beteiligten Personen betrifft.

3 Erlebnisse aus dem Leipziger Land

1. Ein Kind erzählt mir von einem Kostümfest, an dem es teilgenommen habe. Ich frage, als was sich seine Gruppe verkleidet habe. Der Junge antwortet arglos: „Als Neger.“ Sie hätten sich schwarz angemalt und Früchte umgehängt.

2. Mit einer anderen Kindergruppe mache ich eine „Umfrage“ im Ort. Wir befragen die Verkäuferinnen beim Bäcker und im Schreibwarenladen. Als wir wieder draußen stehen kräht ein Kind: „Solveig, können wir noch zum Negerfidschi?“

3. Eine Schule erhält den Titel „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“. SchülerInnen wie LehrerInnen haben sich viel Mühe gegeben. Allerdings sind alle Menschen an dieser Schule weiß – keine Besonderheit in Sachsen. Deshalb wurden extra Gäste eingeladen: Einige Jugendliche mit dunkler Hautfarbe stehen mit auf dem Schulhof. Offensichtlich kennen sie niemanden persönlich, bleiben unter sich.

Es ist leicht, als arrogante Städterin über Alltagsrassismus zu belehren und zurück nach Leipzig zu fahren. Sachsen hat ein Rassismus-Problem, das ist auch im Kontext der aktuellen Geschehnisse in Freital und Meißen nicht zu übersehen. Die obigen Beispiele sind anders gelagert, zeigen das aber ebenfalls sehr gut. Aber wie sinnvoll mit solchen Situationen umgehen? Wie kann ich abends Texte über critical whiteness lesen, und dann am nächsten Morgen an einer komplett „weißen Schule“ über Rassismus sprechen?

So richtig einfach ist das nicht, das merke ich schon allein daran, wie oft ich diesen Text überarbeite – selbst nach der Veröffentlichung. Aber wie habe ich denn reagiert, spontan im jeweiligen Moment?

1. Situation – ich war geschockt, zugleich war für mich offensichtlich, dass dem Jungen überhaupt nicht klar war, was er da äußerte und in welcher Tradition das stand. Zum Glück hatten wir Zeit. Ich habe also in aller Ruhe erklärt. Das Kind wird sich zumindest erinnern.

2. Situation – hier sah es anders aus: Ich wurde laut und stellte klar, dass ich sowas nie wieder hören wolle. Die Reaktion des Kindes sagt mir, dass im Prinzip schon klar war, dass „man das nicht sagt“. Aber auch, dass es wieder gesagt werden wird, wenn auch nicht in meiner Anwesenheit. Also habe ich nicht viel erreicht.

3. Situation – ich habe lediglich beobachtet. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe tatsächlich immernoch keine Idee, was ich in der konkreten Situation sonst hätte tun können. Einen Weg mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und gleichzeitig meine Arbeit zu machen habe ich nicht gesehen. Und ob das eine Lösung gewesen wäre, weiß ich auch nicht.

Sicherlich sind die drei Situation strukturell verschieden. Aber für mich zeigt die wohlmeinende Hilflosigkeit der Schule, die alles mit bester Absicht tut und sich immerhin überhaupt engagiert (und das ist in Sachsen so wichtig!!!), dass es ein ganz offensichtliches Problem gibt: Die echte persönliche Erfahrung fehlt. Weiß sein ist in der sächsischen ländlichen Umgebung oft der faktische Normalzustand.

Natürlich können LehrerInnen dann über Toleranz sprechen. Aber so lange diese LehrerInnen selbst noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass „schwarz“ nicht gleich „Ausländer“ ist, dass verschiedene Kulturen natürlich Kompromisse auf beiden Seiten erfordern und es trotzdem an 1., 2. und 3. Stelle immer nur um Empathie geht – so lange bleibt auch ihr Reden eher unauthentisch und abstrakt.

Da bleibt nur: Einmal mehr Diversity nach Sachsen, bitte. Am besten doppelt so viele refugees wie bisher, und natürlich gute Fachkräfte um den endlich, ENDLICH einsetzenden Prozess zu moderieren. Damit Erfahrungen gemacht und verarbeitet werden können. Damit viele Dinge, die in Sachsen passiert sind (Freital, Meißen, Zwickau, Hoyerswerda, Dresden, Leipzig, Mügeln und und und) nie wieder passieren.

Damit ich nie wieder erklären muss, warum man bestimmte eingangs zitierte Wörter nicht benutzt.

refugees sprechen für sich selbst!

Die GfZK war am Wochenende eingeladen, das Projekt „kennen.lernen“ beim Festival „INTERVENTIONEN – refugees in art and education“ vorzustellen, und so konnte auch ich mitfahren und ein wenig von anderen Kulturprojekten mit Geflüchteten erfahren. Oder besser: Von Kulturprojekten von Geflüchteten.
Denn was ich gesehen und sehr genossen habe, waren eine ganze Reihe von Gruppen von refugees, die für sich selbst gesprochen haben, die ihre eigenen Themen setzten und sich ganz bewusst selbst organisierten. Sehr präsent ist mir dabei die Präsentation des Refugee-Club-Impulse geblieben:

„Sie wollen den refugees immer eine Stimme geben, aber wir haben schon eine Stimme. Die hört nur keiner.“ (aus dem Gedächtnis zitiert)

Eine absolut berechtigte Kritik, die es wirklich in sich hat: Jemandem eine Stimme zu geben, setzt voraus, dass diese/r keine Stimme habe und birgt die Möglichkeit, sie ihm/ihr auch wieder zu nehmen. Was legitimiert KünstlerInnen und PädagogInnen, diese Position einzunehmen?

Und gleichzeitig: Ist es nicht die Verantwortung von KünstlerInnen und PädagogInnen, die Möglichkeit zu schaffen, gehört zu werden? Ist es nicht unsere Aufgabe, gewissermaßen als gesellschaftliches Korrektiv, Räume des Zuhörens zu eröffnen?

Und wo bleibt dabei mein eigenes Erleben? Kann ich mich überhaupt so weit zurücknehmen?

Das alles ist ein schmaler Grat. Den von einer Gruppe selbstbewusster Menschen vor die Füße geknallt zu bekommen, war super. Man verliert sich mit seinem deutschen Pass dann doch schnell im Dschungel der Lokalpolitik, der Unterbringungskonzepte und Wohnungssuchen. Man fühlt sich schnell als sehr guter Mensch, weil man sich damit befasst. Und dann sitzt da diese Gruppe und macht kurzen Prozess: Wir reden selbst. Wir wollen gehört werden. Es geht nicht um Kleinkram – es geht um Menschenrechte. Punkt.