Moritz Neumeier in Leipzig

Es war eine ziemlich konfuse Sache. Eines dieser Wochenenden, an denen zuviel los ist, während an anderen gähnende Leere herrscht. Niemand in meinem Nah-Umfeld interessiert sich für Comedy und so wollte auch niemand mitkommen – und ich kümmerte mich schlicht um nichts. Was sehr ärgerlich gewesen wäre – aber Moritz Neumeier spricht ziemlich ehrlich über Elternschaft und Depressionen, und letztendlich wollte ich es dann doch einfach wissen: Wie er auf der Bühne ist. Ob er liefert. Ob es mich berührt.

Also flugs an der Tür eine der letzten Karten gekauft und den allerbesten Platz gesucht – und den sorgsam zusammengestellten musikalischen Unverschämtheiten von Livin on a prayer bis Abenteuerland zuhören. 700 Menschen im Felsenkeller, die alle entertained werden wollen – eigentlich eine sehr unangenehme Vorstellung für mich. Der Begriff Comedy klingt für mich – ganz althergebracht – ziemlich flach, während Kabarett wiederum so schulmeisterlich wirkt. Natürlich gibt es gerade in den USA sehr sehr gute Vertreter_innen von Stand Up, aber hier in Deutschland hatte ich das Thema eigentlich lange abgehakt, seit es vor 20 Jahren hieß „der Dieter Nuhr kommt auch vom Niederrhein und ist voll witzig“ – nun ja. Nicht alle altern in Würde.

Dann allerdings ging es los, dass reihenweise Comediens (hauptsächlich Männer) anfingen, über ihre Depressionen zu sprechen, was jetzt nicht unbedingt so positiv klingt, wie es soll. Ich habe das sehr genau verfolgt, denn wenn es etwas gibt, was ich mag, dann Humor mit einer gewissen Fallhöhe. Leider allerdings kamen die Depressionen häufig eher in einzelnen Sendungen oder gar Talkshows vor, die Comedy fand auf einer anderen Bühne statt. Das ist natürlich legitim, aber ist es nicht doch auch irgendwie – schade?

„Die große Moritz Neumeier ich bin noch auf der Suche, treten Sie näher, keine Ahnung, was dann passieren wird-Show“.

Da saß ich nun also am Samstag, dritte Reihe Mitte, ein Publikum, dass aus Fans bestand und ein Künstler, der sehr sympathisch, sehr fies, manchmal konfus aber immer auf den Punkt sprach. Der alles, jeden Mucks freudvoll be- und aburteilte, vor allem auch sich selbst. Und der tatsächlich einfach sehr wahr über Kinder/Elternschaft und über Depressionen sprach. Als Teil seines Programms. Nicht als „große Moritz Neumeier-Show“, sondern eher als „große Moritz Neumeier ich bin noch auf der Suche, treten Sie näher, keine Ahnung, was dann passieren wird-Show“. Das muss man erstmal hinkriegen. Ich weiß das, denn ich kenne diese Themen aus eigener Erfahrung sehr gut. Und ich brauche keine Künstler_innen, die über Abgründe sprechen, gleichzeitig aber immer die voll Perfektion bewahren. Damit kann ich nichts anfangen.

„Ich weiß es doch auch nicht“ – so hießt ein früheres Programm, „Unangenehm“, so heißt das aktuelle. Es ist witzig, es ist wahrscheinlich erstunken und erlogen, es ist möglicherweise so ehrlich, wie man vor einem ausverkauften Saal sein kann.

Ich hoffe, dass er damit viel (nicht zuviel) Erfolg hat. Geht hin!

Nichts über Rammstein

Seit einer ganzen Weile diskutiert das Internet nun schon über Rammstein, bzw. über die Vorwürfe gegen Till Lindemann und inzwischen auch Flake. Missbrauch, Vergewaltigung, K.O.-Tropfen, Gewalt, eine sexistische Casting-Praxis, Anzeigen und Anwaltschreiben. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, was auch gut ist, denn die allermeisten von uns waren noch nie backstage bei Rammstein und haben daher eigentlich nicht so viel zur Debatte beizutragen. Oder doch? Ich für meinen Teil bin wahnsinnig wütend. Und deshalb schreibe ich heute mal „Nichts über Rammstein“.

Ein Hinweis vorab: Ich habe dieses Mal weniger gegendert. Natürlich weiß ich, dass auch Männer und männlich gelesene Personen Opfer von sexualisierter Gewalt werden können. Ich wollte aber, dass auch potentielle cis*männlicher Täter den Text verstehen. Danke für euer Verständnis.

„Büchsenöffner.“ Was für mich bis vor kurzem noch ein Utensil eines Astrid-Lindgren-Picknicks war, wurde mir nun mit 41 Jahren von wohlmeinenden Freunden erklärt: Den Büchsenöffner nehmen Menschen (Jungs) auf dem Land mit zur Party. Er besteht aus einer Flasche Schnaps. Frauen abzufüllen um sie „ins Bett zu kriegen“ ist eine beliebte kulturelle Praxis.

Und überhaupt: „ins Bett kriegen“? Wie kriegt man die Frauen da nur hin? Mit Hunden? Absperrungen? Sollte man vielleicht einen Salzleckstein aufstellen?

Und was wird aus denen, bei denen das nicht klappt? „Reste ficken“ – so lange weitersaufen, bis alle anderen weg sind und der traurige Rest dann eben auch endlich gut genug ist. Ist das der Plan?

Vielleicht mit einem Salzleckstein?


Wir müssen nicht über den Fall Rammstein sprechen, um zu sehen, dass wir ein riesigens gesellschaftliches Problem namens rape culture haben. Andernfalls würden die Vorwürfe auch nicht so hohe Wellen schlagen. Und die Fans und Verteidiger_innen ziehen ja auch alle Standardregister: Victim Blaming ohne Ende, ein absurdes Vertrauen in die Aufklärungsfähigkeit der Behörden und einen ordentlichen Schuss Romantisierung der Musikbranche.

Denn soviel muss klar sein, selbst wenn ich nackt und zugedröhnt im Backstagebereich rumliegen würde, umgeben von Liebesbriefen an die halbe Band – ohne ausdrücklichen und direkten consent hat niemand das Recht das auszunutzen. Wenn ich nicht mehr in der Lage wäre mich zu äußern, dann wäre ich auch nicht mehr fähig diese Entscheidung zu treffen, und da ist es egal, ob man Till, Flake oder Nepomuk heißt und am vernünftigsten wäre es vielleicht sowieso eine_n Sanitäter_in zu rufen. Ein aufgezwungener Geschlechtsverkehr ist nie die Schuld des Opfers, es hat natürlich die Verantwortung für sich selbst, nicht aber für den potentiellen Täter, übrigens auch egal wie betrunken auch dieser wiederum ist. Und, kleine Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden. Nur mal so als Tipp.

Nebenbemerkung: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist der beste Weg kein Täter zu werden.


Dass die Behördern sexualisierte Gewalt in welcher Form auch immer zuverlässig aufklären und angemessen bestrafen würden – ich möchte jedes Mal eine Friedenstaube mit den neuesten Statistiken losschicken, wenn ich dieses Argument lese. Sie tun es nicht, sie können es nicht, es ist sowieso schon schwierig und die Verfahrensweisen helfen auch nicht dabei. Ich empfehle das Buch „Akteneinsicht“ von Christina Clemm.

Und dann natürlich der Mythos des ungezügelten Lebens der Rockstars… Ja, diese Mythen aus den Welten der Künste, die sind ganz schön nützlich, und zwar nicht nur in der Musikbranche. Auch im Theater und im Film und was weiß ich nicht wo noch alles stabilisieren sie ungerechte, frauenfeindliche, schlicht patriarchale Strukturen.

Rammstein sind in allererster Linie eins: Ein sehr großer Arbeitgeber. Sie stehen an der Spitze einer großen Pyramide von Abhängigkeitsverhältnissen. Solche Gebilde neigen dazu, dass niemand spricht, dass Dinge klein- oder schöngeredet werden. Wem nützt es schon, schwerwiegende Anschuldigungen zu äußern? Wer denkt, dass die Frauen davon profitieren, dem werde ich diese Überzeugung nicht nehmen können. Denn die Frage ist ja: Was müsste eine Frau tun, wie schlimm und wie persönlich muss eine Frau sich äußern, damit ihr keine niedere Absicht mehr unterstellt wird? Wieviel soll sie von sich Preis geben, damit ihr geglaubt wird? Und ab welchem Punkt ist es dann schon wieder hysterisch, unrealistisch usw? Frauen können an diesem Punkt nur verlieren. Weil sie Frauen sind.

Sie werden es überstehen.


Rammstein, da bin ich mir ziemlich sicher, werden die Sache überstehen. Sie haben alle Ressourcen und per se kein Problem damit, die „bösen Jungs“ zu sein und mit Ambivalenzen zu spielen. Das ging bei den letzten Konzerten in Berlin schon los.

Das Gute ist: Ich fühle mich persönlich nicht von denen bedroht.
Das Schlechte: Ich lebe in einer Welt voller Büchsenöffner. Das ist verdammt bedrohlich und gefährlich, nehmt es endlich zur Kenntnis. Danke.



2022 gelesen

Meine Kernkompetenzen bestehen gerade im Husten und Leiden. Und dann habe ich auch noch Ende letzten Jahres meinen Kalender (ja, einen Papierkalender) verloren. Mit der Leseliste. Grmpf. Aber Traditionen wollen gewahrt werden, und deshalb habe ich so ungefähr versucht zu rekonstruieren, welche Bücher ich 2022 gelesen habe. Also los:

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege, Die Geschichte des verlorenen Kindes – Hat mich sehr beschäftigt. Die Texte sind so dicht, dass ich Mühe hatte, sie zu greifen… Worum geht es in den Büchern überhaupt? Laut Klappentext um Freundschaft, dabei habe ich selten so wenig über echte Nähe gelesen. Worum es mit Sicherheit geht: Armut. Gewalt. Selbstbehauptung und Scheitern. Italienische Geschichte. All diese Themen hätten nicht über zwei Frauen erzählt werden müssen. Aber nur über zwei Frauen konnten die Härten und die Sehnsüchte der Menschen so spürbar werden. Große Empfehlung.

Julia Quinn: Bridgerton – Der Duke und ich, Wie angelt man sich einen Viscount Das erste hatte ich doch schonmal gelesen? Habe schon wieder alles vergessen.

Mein Buch des Jahres.

Tove Jannsson: Das Sommerbuch – DAS Buch. Mein Buch des Jahres. Nicht klug, sondern weise, auf jeder Seite. Der Sommer, das kann in Finnland schonmal Eis bedeuten. Alles hat im Leben Platz. Das ist schwer. Oder nicht. Und das Gebiss der Großmutter ist in die Pfingstrosen gefallen. Nur Tove Jannsson kann ein völlig unaufgeregtes Buch über leben und sterben schreiben. Lest es alle!

Jan Gorkow: Niemals satt – Ich bin jetzt nicht unbedingt Fan von Feine Sahne Fischfilet, aber ihr Engagement gegen Rechts fand ich gut, und so stieß ich auf das Buch. Der Autor ist verdammt ehrlich – Respekt. Öfter mal wiederholt er sich, aber das ist okay. Deutlich wird aber auch, wie wenig Unterstützung Menschen mit Essstörung bekommen, gerade wenn sie eben dick sind. Da hätte man noch weiter gehen können, z.B. durch einen Austausch mit einer_m Psychologin_en.

Sophie Hénaff: Kommando Abstellgleis – Netter Krimi aus Frankreich.

Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch, Rico, Oskar und das Mistverständnis – Das ist einfach eine wunderbare Kinderbuchreihe. Und die hält ihr Niveau auch in den letzten beiden Teilen.

Heide Keller: Das Traumschiff – Wir haben innerfamiliäre Laster. Wer mit mir über das Traumschiff sprechen möchte, kann sich gerne melden!

Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter – Das erste lange Buch, das ich meinem Sohn vorgelesen habe. Vielleicht das beste von Astrid Lindgren.

J K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen – Auch für meinen Sohn. Ich finde die Bücher der Potter-Reihe immernoch gut, aber natürlich steigt die Autorin gleich mit ordentlich Fatshaming ein. Ich finde, dass man mit Kindern über sowas reden kann und sollte und wir hatten großen Spaß am Abenteuer.

Roald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik – Was ist der Unterschied zwischen deutscher und englischer schwarzer Pädagogik? Die englische ist lustig. Auch weil mehr als deutlich wird, dass die eigentliche Verantwortung bei den Eltern liegt. Achja: Mein Sohn ist seither Süßigkeitenforscher.

Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer – Noch so ein schlecht gealterter Klassiker. Einerseits wunderbare Szenen, wunderbare Ideen. Andererseits jede Menge Kolonialismus und wahrscheinlich gut gemeinter Rassismus. Also wieder: lesen und drüber reden.

Eine Frau hört auf zu schlafen und wird in der gewonnenen Zeit sie selbst.

Haruki Murakami: Schlaf – Eine Frau hört auf zu schlafen und wird in der gewonnenen Zeit sie selbst. Die Welt hält das nicht aus. So einfach und klar liest sich Murakami selten. Mit wunderschönen Bildern.

Roald Dahl: Hexen hexen – Auch mit meinem (hartgesottenen) Sohn. Die Hexen sind ultrafies und der Protagonist wird leider in eine Maus verwandelt. Dumm gelaufen, weiter geht’s. Wegen sowas mag ich Roald Dahl so gern.

Roald Dahl: Sophiechen und der Riese – Eines seiner besten Kinderbücher. Und übrigens auch eine Ehrung der verstorbenen Queen!

Tilman Röhrig: Robin Hood. Solang es Unrecht gibt. Ich wollte mal was schmökern… Aber der Schreibstil war leider schrecklich gespreizt. 1€ für jeden Satzanfang mit Partizip.

Bernd Riehm, Daniel Stemmrich: Lassaner Mosaik. Hinter offenen Türen. – Platzdeckchen, Porzellanfigürchen und eine Menge Geschichten von Zeitzeug_innen aus Lassan. Damit verbinde ich viel, sowohl persönlich als auch aus beruflicher Überzeugung. Redet alle mehr mit euren Nachbar_innen.

Thees Uhlmann: Die toten Hosen – Ist schon schön. Aber Band und Autor eint eben auch: die Abwesenheit von existentiellen Erfahrungen. Das ist absolut in Ordnung. Aber irgendwann habe ich mich das halt gefragt, wie Thees Uhlmann in Hoyerswerda klargekommen wäre. Wir werden es nie erfahren.

Ingeburg Kretzschmar: …daß es euch gut gehe – Aus dem Antiquariat im Schloss Stolpe mitgenommen. Texte, Briefe an Kinder, für mich als Wessi von ungewohnten Autoren – teils voll auf Parteilinie, manchmal aber auch einfach sehr schön. Interessante Leseerfahrung für mich.

Wie wird man im alten Rom Gynäkologin?

Penélope Bagieu: Culottées. Des femmes qui ne font que ce qu’elles veulent – Absolut tolle Comics über Frauen, die nur machen, was sie wollen: Von der Gynäkologin im alten Rom zur Königin des Kongo und so weiter. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen. Gibt’s das schon auf deutsch?

Sirka Elspaß: ich föhne mir meine wimpern – Ich kenne die Autorin von Instagram, sie vereint tiefes Leid und ehrlichen Humor, ich mag sie sehr. Ihren ersten Gedichtband werde ich öfter lesen.

Charly Mackesy: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd – Kennt ihr das? Ein Buch ist einfach nur freundlich. Warm. Herzlich. Es gibt endlich mal Antworten. Und dann denkst du: Das muss Kitsch sein! Nun, dies ist kein Buch für Besserwisser, sondern eins für Leute, die sich aufwärmen wollen. Wunderschön ist es auch.

William Goldman: Die Brautprinzessin – Witzige, selbstironische und überaus unterhaltsame Genrespielerei. Ich weiß nicht, ob das Fantasy ist, aber ich hoffe es, denn dann hätte ich ein gutes Fantasy-Buch gefunden. Und Stephen King spielt auch mit.

Und das war’s schon wieder… Dabei stapeln sich hier noch viel mehr Bücher. Und die Stadtbibliothek ruft. So vieles, was ich gerne noch lesen will! Was habt ihr auf dem Zettel? Ein frohes neues Jahr mit euren Büchern!

Der Wert von Kunst. Ganz kurz.

Permanent müssen sich Menschen dafür verantworten, dass sie einen nutzlosen Job machen und selber schuld sind, dass sie in prekären Lebensumständen lernen und leben. Ich habe keine Lust mehr, das zu diskutieren. Ich schreibe meine Antwort nun einmal hier auf und werde dann in Zukunft nur noch den Link teilen. Schluss damit, mich immer wieder zu wiederholen.

Ich traf vor einigen Wochen eine äußerst lebhafte Dame, vielleicht 20 Jahre älter als ich und absolut dazu in der Lage, innerhalb von Sekunden eine wilde politische Diskussion anzuzetteln. So stritt sie leidenschaftlich dafür, dass in Deutschland alle Menschen die gleichen Bildungschancen hätten.
Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, PISA-Studie, seit 20 Jahren, blabla, ihr wisst bescheid. Die Chancengleichheit endet in Deutschland spätestens in der Grundschule, alles schön wissenschaftlich belegt.


Ja, hob die Dame wieder an, das möge ja sein, aber sie habe jetzt von Stipendien geprochen, also von der Chancengleichheit im Rahmen eines Universitätsstudiums, da gäbe es doch nun wirklich alle Möglichkeiten.
Hä? Das überraschte mich ja nun wirklich. Also in meinem Studium, wandte ich ein, da hätten ja nun die wenigsten ein Stipendium gehabt, so endlose Möglichkeiten habe es da nicht gegeben… – Jaaaa, antwortete meine Gesprächspartnerin, da müsse man dann natürlich auch Leistung bringen, das sei ja klar!

Was haben Sie denn studiert?

Vor meinem inneren Auge zogen Kommilitonen vorbei, deren Magisterarbeiten den Umfang von Doktorarbeiten hatten, die Monat um Monat in unbezahlten Praktika verbrachten, die auf eigene Kosten nach Berlin fuhren um irgendwelche Inszenierungen anzugucken…
Also ich habe mit 1,1 abgeschlossen, ich glaube nicht, dass es da jetzt um die Leistung geht, antwortete ich leicht zickig.
Was haben Sie denn studiert?
Theater- und Erziehungswissenschaften.
Achsooo… Nun ja, man sollte dann auch schon etwas studieren, was von allgemeinem Interesse ist, was auch gebraucht wird, das ist auch die Aufgabe der Eltern, darauf hinzuwirken, dass ihre Kinder etwas studieren, wovon man auch leben kann…


An dieser Stelle steuere ich die Unterhaltung mal langsam aus. Sie findet natürlich täglich irgendwo statt, permanent müssen sich Menschen dafür verantworten, dass sie einen nutzlosen Job machen und selber schuld sind, dass sie in prekären Lebensumständen lernen und leben. Ich habe keine Lust mehr, das zu diskutieren. Ich schreibe meine Antwort nun einmal hier auf und werde dann in Zukunft nur noch den Link teilen. Schluss damit, mich immer wieder zu wiederholen.

Fakt ist, dass eine Gesellschaft aus vielen Menschen besteht, die miteinander klarkommen müssen.


Also: Gibt es sie, die brotlosen Künste? Na klar! Meine EU-Rente beträgt 600€. Ein Witz.
Kann man daraus ableiten, dass künstlerische Arbeit wertlos ist?
Nein. Natürlich, erst kommt das Fressen, dann die Moral. Das ist aber immerhin schon der zweite Platz, da hat noch keiner seine Steuererklärung gemacht oder den Rasen gemäht.


Fakt ist, dass eine Gesellschaft aus vielen Menschen besteht, die miteinander klarkommen müssen. Aus Identitäten, aus Einzelpersonen und Gemeinschaften. Und es ist absolut wichtig, sich auf all diesen Ebenen zu spüren, kennenzulernen, miteinander umzugehen. Sonst funktioniert das System nicht. Oder es funktioniert eben zu gut.
In einer sächsischen Kleinstadt mit größtenteils rechtsoffenen Bürger_innen wird es immer auch Menschen geben, die sich in dieser Mehrheitsgesellschaft nicht wiederfinden, die anders denken oder fühlen. Die treffen sich nicht im Ingenieursbüro oder in der Anwaltskanzlei. Die treffen sich bei Künstler_innen und Geschichtenerzähler_innen. Bei Sozialpädagog_innen, vielleicht auch in Therapiegruppen. Manchmal in Religionsgemeinschaften. Fast immer bei unterbezahlten Menschen. Wenn es sie nicht gäbe, gäbe es dafür keinen Raum, und ich bin sicher, dass uns der Laden wesentlich häufiger um die Ohren fliegen würde. Vermutlich gibt es auch deshalb ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe.


Und das war`s. Eine bessere Bezahlung wäre wünschenswert, aber vorerst wäre es auch schon nett, wenn der Wert von Kunst nicht mehr permanent in Frage gestellt würde. Herzlichen Dank dafür, auch an die Dame, die mir diese Steilvorlage geschenkt hat. Liebe Grüße! Sol

Unser kulturelles Erbe – WTF

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren häufig ungefähr so: „Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Allerdings besteht ein relevanter Anteil unseres kulturellen Erbes aus diskriminierendem Schrott. Das ist nicht ungewöhnlich, aber dabei stehenbleiben sollten wir nicht.

Ich muss nochmal was nachschieben. Letzte Woche habe ich hier über Diskriminierung und Kunstfreiheit geschrieben, am Beispiel von Winnetou, Layla und der Documenta15. Ich will nicht alles nochmal wiederholen, deshalb in aller Kürze:

Kunst ist nicht dazu da, ein politisch korrektes Programm zu bebildern, und sei es noch so ehrenwert.

Umgekehrt kann es aber auch nicht Sinn der Sache sein, gesellschaftliche Debatten in der kreativen Arbeit außen vor zu lassen. Dann entsteht wahrscheinlich – so meine These – schlechte Kunst.

Dieses Buch gehört zu unserem kulturellen Erbe.

Die Menschen, die so fleißig über Winnetou und ähnliche Fragen diskutieren, argumentieren nun allerdings häufig noch ein wenig anders: „Dieses Buch (oder was auch immer) gehört zu unserem kulturellen Erbe, ich habe es als Kind geliebt und möchte dieses wohlige Gefühl an meine Kinder weitergeben, das lasse ich mir nicht kaputt machen.“ Da deutet sich am Ende schon die Agression an, und der Freigeist der Nation, Siegmar Gabriel, war auch schnell bemüht, diesen Gedankengang salonfähig zu halten.

Vom kulturellem Erbe kann man auch schnell zur Leitkultur denken, und dann einfach nur noch irgendwas von Goethe, Schiller oder deutschem Liedgut stammeln. Damit sind allerdings schon viele auf die Fresse geflogen, ich verlinke sehr gern ein Beispiel.

Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Tatsache ist aber, dass unser kulturelles Erbe voller Beispiele für Bücher, Filme etc. steht, die riesigen Erfolg hatten und als absolut diskriminierend zu beschreiben sind. Natürlich verdeckt Karl May mit seinen romantischen Geschichten, was wirklich mit den Natives in Amerika geschah. Natürlich ist es absolut sexistisch, wenn „Försters Pucki“ an ihrem 4. Geburtstag bereits ihren späteren Ehemann kennenlernt, oder wenn „Trotzkopf“ im Internat zunächst seelisch gebrochen wird, bevor sie sich nach zwei Treffen unter den Augen ihrer Eltern mit dem angemessenen Kandidaten verlobt. Natürlich ist das Traumschiff nationalistisch, rassistisch, kolonialistisch und sexistisch, da weiß ich wirklich nicht, wo ich eigentlich anfangen soll. Nur soviel: Die „MS Deutschland“ (!) ist in wirklich jedem Dschungel bekannt. Und natürlich ist die weichgespülte Vergewaltigungserotik der „Wanderhure“ völlig indiskutabel. Ein relevanter Teil unseres kulturellen Erbes besteht, mit Verlaub, aus diskriminierendem Schrott.

Früher war die Welt eine andere.

Und selbst künstlerisch deutlich spannendere Werke wie die Bücher von Otfried Preußler sind natürlich nicht frei von kolonialistischen Motiven, das wurde ja bereits vor Jahren breit diskutiert. Nicht weil der Autor Rassist war, sondern weil er ein Kind seiner Zeit war. Man ist kein_e Rassist_in, weil man als Kind gern Karl May gelesen hat, aber es wäre schon gut, das später zu reflektieren und gegebenenfalls auch mit seinen Kindern zu besprechen. Es wäre prima, wenn Verleger_innen, Erzieher_innen, Lehrer_innen dafür Konzepte entwickeln würden, denn Eltern werden das nicht immer leisten können.

Früher war die Welt eine andere. In der Schule wurde geprügelt. Mädchen und Frauen waren von Männern komplett abhängig. Schwarze Menschen galten als minderwertig und gruselig. Von all diesen Missständen sind auch heute noch Aspekte übrig. Deswegen ist diese Debatte unumgänglich. Man muss nicht jeden Schrott erhalten. Man kann ihn vorsichtig ins Archiv legen, bei Bedarf hervorholen und diskutieren – und sich dann was Neues ausdenken. Hoffentlich ist was spannendes dabei. Und hoffentlich heißt die Hauptfigur nicht „Pucki“.

Layla, Winnetou und die Documenta – ein paar Worte zur Freiheit der Kunst

Winnetou, Layla und die documenta – wir diskutieren diesen Sommer hart darum, welche Kunst-/Kulturerzeugnisse wir wollen, und welche nicht. Oft ist dabei von einer übertriebenen Verbotskultur die Rede. Aber vielleicht geht es eigentlich nur um die eine Frage: Ist es denn gut?

Man kann mich mit Fug und Recht als Gutmenschin beschimpfen. Ich wünsche mir, dass jede Form der Diskriminierung abgeschafft wird, bemühe mich darum, eine sensible Sprache zu benutzen und bin prinzipiell geneigt, jedem_r zuzuhören, der_die darauf hinweist, sich von der Gesellschaft benachteiligt zu fühlen. Hoffe ich. Jedenfalls ist das für mich der grundlegendste Wert, den ich habe, und ich wünsche mir, dass das auch für möglichst viele andere Menschen gilt. Dass wir den Umgang miteinander respektvoll gestalten wollen. Amen.


Am allerwichtigsten allerdings ist mir, (und das muss kein Gegensatz sein, kann aber schonmal knallen): Die Freiheit der Kunst. Nicht, weil ich es billigen will, dass unter dem Deckmantel der Kunst Menschen diskriminiert werden, sondern weil die Freiheit der Kunst die Möglichkeit bietet, als Korrektiv zur Gesellschaft aufzutreten und Dinge in die Öffentlichkeit zu stellen, die dort nicht richtig repräsentiert sind. Ein Beispiel: Als das Zentrum für politische Schönheit 2014 die Mauerkreuze aus Berlin stahl um sie an die europäischen Außengrenzen zu bringen, taten sie etwas, was eigentlich gegen das Gesetz verstieß und erschufen ein Ereignis, das auf ein viel größeres und schrecklicheres Verbrechen hinwies -in höchst emotionaler Weise. Ohne die Freiheit der Kunst – und die Bereitsschaft der Macher_innen, sich auf dieses dünne Eis zu begeben – wäre das nicht möglich gewesen. Dafür brauchen wir sie. Auch wenn das keinesfalls bedeutet, dass ich alles gut finde, was unter diesem Deckmantel passiert, auch nicht vom ZpS – man kann sich an dieser Freiheit auch ganz schön verheben. Das nur am Rande.

In diesem Sommer verheben sich so einige an der Debatte.

In diesem Sommer nun verheben sich allerdings so einige in der Debatte. Beispiel 1: Winnetou, weil`s grad so schön aktuell ist. Ich sah gerade einige Beiträge von Medien, die wahrscheinlich ihr wirtschaftliches Wohlergehen über Empörung generieren, verlinken werde ich sie nicht. Las einige Tweets, die mich sehr traurig machten. Und fasse nun zusammen: Deutschland wird von 180 woken Meinungsmachern (sic!) gegängelt, die den Verlag so stark bedrängt haben, dass er feige eingeknickt ist und das Buch (und das Stickerbuch, das Puzzle, die Waschlappen und die Schmerztabletten, denn ein I……r kennt keinen Schmerz, Scherz) aus dem Programm genommen haben. Manchmal werden diese „Linken“ auch „Denunzianten“ genannt. Und dann gibt es noch ein wichtiges Argument: In Deutschland gibt es ja gar keine I……r. Dass das nicht stimmt und dass auch Natives Internet haben und Ländergrenzen deshalb eh irrelevant sind, erwähne ich nur am Rande bzw. verweise auf den Auftritt der Natives auf Instagram.

Wie dem auch sei: Der Verlag hat das Recht, das Buch (und das Poster, und die Badeschlappen und die Tattoovorlage) zu veröffentlichen, er macht es nicht, was sicher finanziell weh tut. Obwohl niemand das Buch verbietet, wird es zurückgenommen. Warum? Weil er gezwungen wird? Wohl kaum, der richtige Shitstorm begann doch erst, nachdem er diese Entscheidung öffentlich gemacht hatte. Möglicherweise (lassen wir den Gedanken einfach mal zu) ist das Verlagsteam vielleicht einfach auf die Idee gekommen… dass die Kritik berechtigt ist? Dass dieses Buch vielleicht nicht genau das Buch zur Thematik ist, dass es jetzt gerade braucht? Oder dass die Argumente der Kritiker_innen ganz schlicht und einfach nicht mehr verschwinden werden und man langfristig – auch aus wirtschaftlichen Gründen – mit der Zeit gehen will?

Vielleicht sollte die Frage gar nicht lauten „Sollte diese Kunst verboten werden?“ – sondern vielmehr: „Ist es denn gute Kunst?“

Dasselbe bei „Layla“ – der Shitstorm begann, als öffentlich wurde, dass das Lied beim Stadtfest nicht gespielt werden würde, „einknickende Denunzianten“ wären vielleicht auch zurückgerudert. Die Sache verhielt sich jedoch anders: Im Jahr zuvor hatten Menschen eine Petition gestartet, damit ein bestimmtes Lied über eine Vergewaltigung nicht mehr gespielt werden würde. Erst danach reagierten Stadtrat und Verwaltung. Die Veranstalter_innen nahmen es aus dem Programm und zogen dann in diesem Jahr von sich aus nach, indem sie auch „Layla“ ausschlossen.

Ich persönlich kann mir eine ganze Menge anderer Lieder denken, die weitaus frauenfeindlichere Texte haben. Aber auch hier greift für mich die Frage: Ist es denn gut? Und ja, „Layla“ mach die Frau zum Objekt und ist ansonsten harmlos. Und Kool Savas, nur mal so als Vergleich, macht die Frau so sehr zum Objekt, dass man fast glauben könnte, dass er es vielleicht nicht so ganz ernst meint und einfach nur selbst die härteste Sau im Stall sein will?! Aber auf dem Stadtfest würde das vermutlich auch nicht funktionieren.

Und dennoch bleibt bei allen genannten Fragen eben nicht die Frage: Müssen wir das verbieten? – es reicht vollkommen, sich zu fragen: Ist es denn gut? Gibt es uns was? Gibt es den Leuten drei Straßen weiter was? Sollten wir Rücksicht nehmen? Dass diese Fragen vielen Menschen völlig egal sind, das ist allerdings ein Problem.

Tja, und dann gibt es natürlich noch die Documenta. Ein riesiges Ereignis, medial, vermutlich auch vorort, ich war nicht da und tue mich schwer damit, mir das alles vorzustellen. Der globale Süden zu Gast in Kassel. Und dann eben Antisemitismus. Die Einschätzungen zur antisemitischen Bildsprache in den Kunstwerken sind absolut plausibel. Die Kritik zur Repräsentation verschiedener Gruppen in den Reihen der Künstler_innen ebenfalls. Aber dann… Viel Empörung, ein Kopf rollt, Entschuldigungen, nächster Skandal. Dass ausgerechnet die „liberale“ Partei vorschlug, die ganze Documenta auszusetzen, ist aus Sicht der Kunstfreiheit natürlich eine super Pointe. Ein Bild, das Antisemitismus reproduziert in Deutschland zu verbieten, kann man diskutieren, klar. Aber ich finde, auch hier greift die schlichte Frage: Ist es denn gut?

Es ist schon um die halbe Erde gewandert, dieses Bild.

Es ist nicht neu, es ist schon um die halbe Erde gewandert, dieses Bild. Noch nie hat es für solche Aufregung gesorgt, wie in Deutschland. Deshalb hätte hier in Kassel unbedingt und ganz ohne Zweifel ein Dialog entstehen müssen, und für diesen gab es kein Konzept. Das ist katastrophal schlecht. Ein schlechtes Konzept. Bei einem Projekt dieser Größenordnung nicht zu entschuldigen. Und nur um das klar zu sagen, ich meine mit „Konzept“ keine Podiumsdiskussion, bei der die immergleichen Haltungen aneinandergeklatscht werden, ich meine eine echte Begegnung mit Menschen, Gedanken, Gefühlen, die uns unbekannt sind. Mit Respekt, Wertschätzung und der Wahrung der Würde aller Beteiligten. Ohne das, kann man es, sollte es sogar ganz einfach lassen.

Ich glaube an Kunst, an die Freiheit der Kunst und daran, dass wir es immer noch besser machen können. Ich bin froh, dass es keine Verbotskultur gibt, jedenfalls nicht in der Form, wie sie auch heute wieder in rechten Tweets besungen wird.

Der einzige Ort, an dem künstlerische Perspektiven hierzulande tatsächlich aussortiert werden (können), ist die Förderpolitik. Und auch da gelten immer dieselben Fragen: Wer ist nicht hier? Wenn sollten wir noch einladen? Und wenn es dann richtig kracht im Gebälk, weil man sich überhaupt nicht versteht: Dann ist es vielleicht gut. Oder auch nicht. Bei der Kunst weiß man nie.

mein tief.unten

Wie sich eine Depression anfühlt, das ist schwer zu verstehen, sagt man. Ich weiß es auch nicht. Ich kann nur erzählen, von meinem Blick auf meine Depression. Und weil ich Lust hatte etwas auszuprobieren, ist ein kleines Zine entstanden. Thema: Lächeln und Nicken.

Es ist Sommer, die Tage hopsen vorbei. Ich hatte mir mal erzählt, dass die EU-Rente eigentlich auch ein bisschen wie ein künstlerisches Stipendium sei, dass ich nie wieder so viel Zeit für meine Ideen haben würde. Das ist möglich. Aber trotz aller Liebe zur Kreativität gibt es auch Freund_innen, Netflix, den See… und wahnsinnig viele Cafes, die ich mir eigentlich nicht leisten kann. Währenddessen stauen sich die angefangenen Textdateien auf meinem Desktop, der Nobelpreis für Literatur wird noch warten müssen. Es ist kompliziert.

Kompliziert scheint auch ein anderes Thema zu sein, das mich mein Leben lang begleiten wird: Depression. Wenngleich das Internet voll von gut recherchierten und aufbereiteten Informationen ist – zum Beispiel hier – stoßen Betroffene und Angehörige nach meiner Erfahrung immer wieder auf zwei Probleme:

  1. fehlt in der Regel eine Anlaufstelle, die alle Baustellen dieser Erkrankung – medizinische, psychische, soziale, arbeitsrechtliche und finanzielle etc. – im Blick hat und an entsprechende Stellen ganz konkret im jeweiligen Ort verweist. Diese Informationen müssen sich viele mühsam selbst erarbeiten, im besten Falle können andere Patient_innen helfen – wenn man denn mit anderen ins Gespräch kommt. Dieses Problem ist riesengroß, und ich überlege oft, wer das lösen könnte.
  2. höre ich immer wieder den Klassiker: „Wie man sich da fühlt, das kann man sich vermutlich einfach nicht vorstellen…“

Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob es erstrebenswert ist, sich das vorzustellen. Aber die Empathie zu verstehen, dass es schlimm ist, die brauchen Betroffene ganz bestimmt. Und ich finde es umgekehrt auch total gut es zu versuchen, zu versuchen zu beschreiben, was in einem vorgeht.

Depressionen sind eine Krankheit, die über die Persönlichkeit der Erkrankten wahrgenommen wird.

Depressionen sind eine Krankheit mit spezifischen Symptomen, und diese bahnen sich ihren Weg durch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ärzt_innen und Therapeut_innen können über Depressionen sprechen, ich kann nur über meine Depression sprechen. Mein tief.unten.

Durch die tolle Lyrikerin Sirka Elspaß habe ich für all diese Gedanken eine Form gefunden: Ein Zine soll es sein. Ich habe meine Dateien zusammenkopiert, verschoben, neu gemacht, Fotos hinzugefügt, den Scanner repariert… Und ein erstes Thema gefunden. Lächeln und nicken. Das ist das, was ich mache, in den Wochen, bevor es kracht. Ich tue, was alle gerne sehen, ich denke, ich schaffe alles weil ich muss, ich lächle und denke „ihr Arschlöcher“, und dann ist es bald vorbei. Beziehungsweise dann geht es erst richtig los.

Ein kleines Zine ist es geworden, die Einzüge stimmen nicht, hier und da wurde was abgeschnitten, aber ich freue mich. Es ist seit Jahren das erste, klitzekleine Projekt, das ich nicht nur angefangen, sondern auch beendet habe. Ich werde es hier verschenken, da verteilen, wenn ihr eins haben wollt, müsst ihr euch mit mir treffen. Ich freu mich jetzt einfach, dass ich das gemacht habe. Und nun: Zeit für Netflix. Oder so.

#le0711 – das Theaterstück

Ich verrate ein schmutziges Geheimnis: Ich war am Samstag nicht demonstrieren. Warum? Weil ich dieses kleine Theaterstück im Kopf hatte, dessen Aufführung ich so oder ähnlich in den letzten 18 Jahren zig mal bewundern durfte:

Vorab. Die Szene ist friedlich, lediglich Alte, Kranke, Schwarze und andere Risikogruppen mosern rum.

Nazis: WIR KOMMEN, WIR MARSCHIEREN, VÖLKI, INNENSTADTRING, CONNEWITZ,WIR KOMMEN!

Linke: Das könnt ihr vergessen, Völki, Innenstadtrring, Connewitz, wir nehmen Platz!

Bürgerliche Irgendwas: Ja, wir sind auch dagegen.

Polizei: Wir sind kaputt gespart und haben kein Problem mit strukturellem Rassismus!

Irgendwelche Gerichte in letzter Minute: Die Nazis dürfen nicht alles, aber die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, sie dürfen also doch fast alles. Versammlungsfreiheit yeah!

Nazis: JA, VERSAMMLUNGSFREIHEIT YEAH!

Der große Tag ist da. Alle freuen sich auf die Demonstration. Doch dann…

Nazis: WIR SCHWINGEN GROßE REDEN, IN DENEN WIR DAS GRUNDGESETZ, DIE MENSCHENRECHTE UND DIE VERSAMMLUNGSAUFLAGEN MINDESTENS ANKRATZEN.

Linke: Wir stören die großen Reden, wir Strolche!

Bürgerliches Irgendwas: Keine Gewalt, so, jetzt müssen wir bald aber wieder los.

Polizei: Die Linken sind uns auf den Fuß getreten!

Linke: Die Polizei ist uns auf den Fuß getreten! Wieso tritt die Polizei nicht den Rechten auf den Fuß?

Polizei: Linksextreme sind genauso schlimm wie Rechtsextreme! In der Realität sind Linksextreme sogar noch schlimmer, als Rechtsextreme! Extremismustheorie yeah!

Wissenschaftler: Die Extremismustheorie ist eine Theorie, die einige Schwächen aufweist und stark umstritten ist.

Polizei: Damit können wir uns jetzt nicht beschäftigen.

Wahlweise Pyrotechnik, Wasserwerfer, Tränengas, die Szene sollte etwas kathartisches haben.

Nazis: DANKE, WIR DANCEN DANN MAL ÜBER DEN RING, ODER SO. WER WILL AUF DIE FRESSE?

Polizei: Nein halt, fahrt schonmal nach Hause und macht Abendbrot! (Kleiner Scherz…)

Bürgerliches Irgendwas: Wir sind schon lange zu Hause und essen Abendbrot. Abendbrot yeah!

Vorhang fällt über einer eskalierenden Szene.

Vorhang auf: Politiker twittern oder youtuben, die hippen fäncy Schabracken.

Linke Parteien: Polizei unverantwortlich, Nazis böse, politische Aufarbeitung yeah!

Mitte-rechts-Parteien: Das alles nicht gut, ABER die Linksextremen, nochmal Extremismustheorie yeah!

Polizei: Wir werden das analysieren und aufbereiten. Bis zur nächsten Demo, yeah!

AfD: War geil.

Solveig: Das ist mir alles zu anstrengend. Ich schreibe lieber ein paar flapsige Zeilen und sonne mich in dem Wissen, dass ich nicht nur politisch auf der richtigen Seite stehe, sondern auch noch verdammt witzig bin. Und das alles auf dem Sofa. Witzigkeit yeah!

Tja, wie gesagt, ich bin nicht stolz drauf. Und sehr betroffen darüber, was am Samstag in Leipzig geschehen ist. Wenn ihr eine postmoderne Interpretation meines Werk auf Youtube sehen wollt, empfehle ich euch den zweiten Teil der Pressekonferenz von Kretschmer und Wöller vom Sonntag.

Ansonsten: Demokratie yeah!

2019 gelesen

2019 war ein Jahr, indem ich hauptsächlich mit Krankheit und Genesung beschäftigt war. Was liest man da? Mehr Ratgeber. Also Augen zu und durch meine etwas seichte Leseliste 2019.

Funny Van Dannen: Zurück im Paradies.

Mascha Kaléko: Sei klug und halte dich an Wunder.

Johannes Hayers, Felix Achterwinkler: Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn!

Jennifer Worth: Call the midwife.

Sabine Wehner-Zott, Prof. Hubertus Himmerich: Die Seele heilen. Ein Mutmachbuch für Depressive und ihre Angehörigen.

Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter.

Keri Smith: Das Guerillakunst-Kit.

Kelsey Miller: I’ll be there for you. Friends. Alles über die beste Serie aller Zeiten.

Astrid Lindgren: Ferien auf Saltkrokan.

Natascha Wegelin: Miss Moneypenny.

Marie Kondo: Magic Cleaning.

Fabian Hirschmann: Und am Ende schmeißen wir mit Gold.

Maxie Wander: Tagebücher und Briefe.

Matthew Syed: Du bist awesome.

Patricia Cammarata: Sehr gerne, Mama, du Arschbombe.

Gegen die Schweinokalypse

„In #Leipzig gibt es einen #Kindergarten, der hat jetzt allen #Deutschen das #Schweinefleisch #verboten, sogar die #Gummibärchen, weil da Schwein drinne ist, unmöglich, das deutsche Schnitzel ist in Gefahr #schnitzelingefahr und deshalb kommt da jetzt der #Poggenburg und dann gibt es eine #Spontandemo und es regt sich auch schon #Widerstand, 5000  #Antifas wollen morgen zur #Gegendemo anreisen, sicher brennen dann wieder #Autos, wie so oft in der linksradikalen #Südvorstadt, denn dann haben wir die magischen drei Zutaten für eine gute deutsch-sächsische Geschichte zusammen: Schweinefleisch, Extremismus-Theorie und Autos. Juchei, so macht #Wahlkampf Spaß!

#schnitzelingefahr

Ich erspare euch die tatsächlichen Fakten (hat die überhaupt irgendjemand veröffentlicht?). Da ich neben besagten Kindertagesstätten wohne habe ich die verschiedenen Veröffentlichungen verfolgt. Ich bin schwer genervt. Von diesem ganzen destruktiven Aufmerksamkeitskarussell, auf das alle Beteiligten immer wieder aufspringen. Ich versuche es mal konstruktiv: Was für ein Verhalten hätte ich mir von allen Beteiligten gewünscht?

Die Kitas: Haben formal nichts falsch gemacht. Aber es wäre weitaus eleganter und aus demokratiepädagogischer Warte sinnvoller gewesen, bei der Entscheidung über das Essenangebot Angestellte, Eltern (und in meinem Traum sogar die Kinder) einzubeziehen. So, dass eine Entscheidung gefällt wird, die auch alle mit tragen. Dann muss man nämlich später keinen Rückzieher machen.

Presse: So sie berichtet, hält sie sich an die Fakten. Spricht nicht von „Verbot“, wo keines existiert. Und nennt keine Ortsangaben, sprich: nicht die Adresse der Kita, wenn die Stimmung eh schon aufgeheizt ist.

Natürlich könnte man sich auch entscheiden, dass andere Themen wichtiger sind – mit guten Gründen. Denn von einem Sommerloch kann dieses Jahr (leider) nicht die Rede sein…

Politiker_innen und Parteien: siehe oben

Poggenburg: Okay, hier fällt es mir schwer, mir was Konstruktives auszudenken.

Einfach mal konstruktiv denken

Aber eigentlich ganz einfach: Ein paar gut vorbereitete Elternabende und eine Öffentlichkeit, die ihrer Verantwortung gerecht wird. Ist das so sehr zuviel verlangt?

Idealistische Grüße… Ach, was weiß ich denn.