Es gibt da dieses unwürdige und grausame Spiel, das wir seit einigen Jahren spielen, es geht ungefähr so:
– etwas Schreckliches passiert, zuletzt in Aschaffenburg, der Täter ist nicht weiß
A: Der muss weg. Wieso war der noch nicht weg?
B: Rassismus, Humanismus, psychisch krank.
A: Psychisch krank… Der muss weg, die sind verrückt, Melderegister, Abschiebung…
B: 100 juristische und praktische Gründe + trotzdem noch ein paar Zugeständnisse…
Alle: Meinung, Meinung, viel Geschrei und Brutalität
Ich kann mir das nicht mehr anhören. Und es gibt sehr viele Ansatzpunkte, an denen dieser Ablauf zu kritisieren ist, und das wird glücklicherweise auch immer wieder getan, auch wenn die Verbesserungen leider überschaubar sind. Nur zu einer Stelle wird leider wenig gesprochen: Wie kann es sein, dass im Jahr 2025 die Zauberformel „psychisch krank“ immer noch bereitwillig als Erklärung für jedwedes Verhalten akzeptiert wird – von Täter_innen wie von Gesellschaft?
Die Zauberformel: psychisch krank.
Die allermeisten Menschen mit psychischen Erkrankungen, so meine These, wollen natürlich nicht mit derartigen Taten in einen Topf geworfen werden – wer will das schon. Dass sie sowieso schon täglich mit Stigmatisierung zu tun haben, dürfte diesen Effekt nur bestärken. Und dann… Sind die Schicksale dieser Täter_innen natürlich auch einfach sehr sehr traurig. Aus Gründen müssen Patient_innen mit psychischen Erkrankungen oft auch den Fokus bei sich behalten.
Und doch… Zufällig weiß ich ein, zwei Dinge über psychische Erkrankungen, zufällig kenne ich viele psychisch Erkrankte, zufällig, weil ich selbst eine bin. Zufällig sind diese Krankheiten zumindest teilweise nämlich sehr normal und sehr weit verbreitet. Auch wir sind alle Menschen und sehr unterschiedlich, und auch die einzelnen Krankheitsbilder unterscheiden sich natürlich. Aber die allermeisten, das weiß ich, haben Angst. Schämen sich. Stehen unter massivem Druck. Auch in manischen oder psychotischen Phasen schaden sie zuallererst: Sich selbst. Stürzen irgendwann ab und finden sich finanziell ruiniert und sozial isoliert auf irgendeiner Station wieder. Ganz sicher sind sie weitaus stärker gefährdet, selbst Opfer von Gewalt zu werden, als anderen etwas anzutun (siehe offenen Brief weiter unten). Mediziner_innen könnten dazu sicher noch weit mehr schreiben.
Bessere medizinische Behandlung für Asylbewerber_innen
Und das würde ich mir auch wünschen, denn irgendwie ist das Internet hier relativ leer. Es gibt einen unterschreibenswerten Brief gegen Carsten Linnemanns schamlose Idee eines Melderegisters für psychisch Kranke. Aber die meisten Interessenverbände oder Aktivisten/Prominenten unterscheiden hier wohl: Zwischen den psychischen Krankheiten der einen und der anderen, der Menschen mit und ohne Staatsbürgerschaft? Hautfarbe? Was eigentlich? Scheinbar nehmen sie das Thema vielleicht einfach nicht wahr. Wo sich jemand äußert, ist die Ansage deutlich, etwa fordert das Ärzteblatt eine deutlich bessere medizinische Behandlung für psychisch kranke Asylbewerber_innen, und bestens aufbereitete Informationen zu posttraumatischen Belastungsstörungen bei Geflüchteten gibt es bei der BPB bereits seit 2016.
Im Falle des Täters von Aschaffenburg habe ich natürlich keinen Einblick und auch keine Kompetenz, um seine Krankengeschichte zu verstehen. Wenn ich aber lese, dass er aus Afghanistan geflüchtet ist, dass er dann trotz allem auch hier weder Perspektive noch Stabilität gefunden hat und letztlich aufgrund der anstehenden Ausreise unter hohem Druck stand, dann weiß ich wirklich nicht, wie das ein_e Psychiater_in mit ein paar Pillen kurzfristig auffangen sollte. Es fehlt an Dolmetscher_innen für die Behandlung, in den ersten drei Jahren gibt es in der Regel sowieso nur Notfallversorgung – das reicht einfach nicht und verschlimmert wahrscheinlich Probleme, Stichwort Chronifizierung. Die Medien sind voll von rassistisch gefärbten Horrorgeschichten – wie sich dergleichen auf psychisch kranke Täter_innen auswirken kann, ist im Podcast Schwarz Rot Blut (Folge 6) hervorragend erklärt. Unter diesen Bedingungen kann ein Mensch nicht gesund werden. Ganz sicher ist es das krasse Gegenteil von Prävention.
Das Gegenteil von Prävention.
Der Plan ist also: Wir schieben schwer kranke Menschen ab.
In Afghanistan wird der Mann auch nicht vernünftig behandelt werden. Seine Zukunft ist uns egal. Da gibt es nichts zu deuteln.
Ich finde das zutiefst grausam und diese Asylpolitik falsch und auch dumm, um das klar zu sagen. Ein Mensch allein mag psychisch krank sein – eine große Gruppe Menschen, die ihre Probleme nur so „lösen“ kann, ist sozial krank. Das sage ich in dem Wissen, dass beides nicht so einfach heilbar ist, sondern viel Reflexion, Zeit und Zuwendung braucht.
Und natürlich ist es deshalb keine Lösung, da einfach weiterzuwursteln. Schlicht auf der gesundheitlichen Ebene wünsche ich mir aber ganz klar und am liebsten sofort: Mehr Solidarität mit allen psychisch kranken Menschen, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Wir sind so viele, und wir kämpfen so sehr: Mit Wartezeiten auf Therapieplätze, mit Diskriminierung und auch schlicht mit der Krankheit selbst. Warum verhalten wir uns nicht solidarisch? Aus Angst, mit Gewalttäter_innen verwechselt zu werden? Auch wir gehören zu dieser Gesellschaft und tragen zu ihr bei. Schluss mit Angst und Scham, sie sind nicht immer gute Ratgeber. Warum äußern wir uns nicht:
Ich bin’s, Solveig, ich lebe seit 18 Jahren mit Depressionen und ich erwarte, dass alle, auch nicht-weiße Menschen mit psychischen Erkrankungen vernünftig behandelt werden. Jetzt ihr. Bittedankegerneweitersagen.