Heute früh öffnete ich Facebook. Ich sah, dass der Leipziger CDU-Abgeorndete Dr. Thomas Feist eine Kolumne von Jan Fleischhauer über „Deutschland und die Flüchtlinge“ geteilt hatte. Ich las. Selten macht mich ein Post so wütend, dass ich 8 Stunden später doch noch etwas dazu schreiben will. Erschwerend wirkt sicher, dass Dr. Feist als Abgeordneter den Text offensichtlich für lesenswert hält. Deshalb hier meine Meinung Stück für Stück.
„Die Flüchtlingseuphorie nimmt bedenkliche Formen an. Vielen reicht es nicht mehr, die Fremden, die zu uns kommen, freundlich aufzunehmen – sie wollen in jedem Asylbewerber gleich einen Neubürger sehen.“
Das ist zunächst einmal eine Behauptung, nein, es sind mehrere Behauptungen:
1. dass es eine Flüchtlingseuphorie gäbe, 2. dass diese bedenkliche, mithin beunruhigende Ausmaße erreicht habe, 3. dass „viele“ Deutsche alle Flüchtlinge einbürgern lassen wollen.
Mal abgesehen davon, dass keine dieser Behauptungen irgendwo mit Zahlen untersetzt wird, bedient diese Formulierung denn auch noch in eloquenter Weise die Angst „dass dann alle bleiben, dann haben wir die … hier, die gehen dann nicht mehr weg“. Klingt nach Bürgerinitiative gegen jedes beliebige Asylbewerberheim.
Nun gut, wende ich mal selbst ein, vielleicht hat Herr Fleischhauer aber in seinem Bekanntenkreis überdurchschnittlich viele Personen, die eine Flüchtlingseuphorie erleben, die helfen, helfen, und ein paar T-Shirts spenden wollen und dabei womöglich auch noch naiv vorgehen und das ganze in 6 Wochen aufgeben werden. Vielleicht geht es Dr. Feist, der den Artikel heute morgen auf Facebook teilte, ganz genauso. Vermutlich packt die junge Union gerade jede Menge Seifenpäckchen.
Doch halt! Es ist nicht so einfach: Es gibt nicht nur „Musterflüchtlinge“!
„Eine Antwort könnte sein, dass nicht alle, die zu uns kommen, so leistungswillig und perfekt ausgebildet sind wie Feras.“
Das ist richtig. Tatsächlich beobachte ich bereits seit einer Weile, dass die Politik sogar ganz gerne ein Bild zeichnet von hilfsbedürftigen Flüchtlingen aus Syrien (die dann natürlich auch gut ausgebildet sein können), und „Balkan-Flüchtlingen“, die uns im Schulhofjargon nur ausnutzen wollen. In dieser schematischen (und für meine Begriffe zutiefst diskriminierenden) Aufteilung zeigt sich bereits, dass in der Presse beileibe nicht nur von „Musterflüchtlingen“ die Rede ist.
Aber bleiben wir bei den syrischen Geflüchteten: Fleischhauer ist nämlich etwas aufgefallen, was den euphorischen Helfern noch neu ist. DIE SIND GAR NICHT ALLE NETT!
Für diese Erkenntnis habe ich als sowohl professionell als auch ehrenamtlich mit Geflüchteten arbeitende Person nun ein kräftiges… Achselzucken. Manche Menschen mag man, manche nicht. Manchmal trennen einen Sprachen. Manchmal Weltanschauungen. Manchmal interessiert man sich für verschiedene Sachen. Und wenn jemand den IS super findet, dann verstehen wir uns vermutlich tatsächlich nicht. Das alles ändert aber nichts daran, dass für jeden, JEDEN Menschen die Menschenrechte gelten. Für Jan Fleischhauer, für Dr. Thomas Feist, für mich und auch für einen am besten sogar besoffenen Balkan-Flüchtling, der leider kein syrischer Herzchirurg ist.
Die Sorge, dass die Stimmung der Helfenden, wenn sie das plötzlich herausfinden (denn das haben all diese möglicherweise denkenden und eigenverantwortlich handelnden Menschen vermutlich wirklich nicht bedacht) in große Ängste und fremdenfeindliche Zustände umschlägt, ist nun ein wunderbares Feigenblatt, um die simple Unlust zu verbergen, weniger leistungsbereite Menschen aufzunehmen. Sie bildet einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber rassistischen Stimmungen ab, der in Sachsen gerade sowieso en vogue ist. Für jemanden, der eine kritische Kolumne schreibt, ist sie ein putziges Argument. Müsste Herr Fleischhauer sich nicht eher damit beschäftigen, was und wer wirklich helfen kann und wie man der Gefahr eines Stimmungsumschwungs entgegentreten kann?
Tatsache ist doch, dass in der Flüchtlingshilfe viel zu wenig Fachkräfte arbeiten. Wenn die Politik hier Stellen schaffen würde, dann bräuchte niemand einen angeblichen Hype. Dann würden Profis mit den Geflüchteten arbeiten. Andere Kontakte (die selbstverständlich ebenfalls unerlässlich sind) wären dann rein privat. Kompetente Profis suchen nicht nur Selbstbestätigung oder neue Freunde, sie arbeiten mit den Menschen unabhängig von persönlichen Sympathien. Und wenn ihnen wirklich jemand unterkommt, der den IS nach Hintertupfingen bringt, dann können sie reagieren. Das kostet Geld. Aber wäre es nicht die bessere Alternative? Oder anders gefragt: Wäre es nicht besser, wenn die Menschen, über die wir „sehr wenig wissen“ professionell begleitet würden, die Euphorie sich darauf beschränken würde, die neuen Nachbarn kennenlernen zu wollen – und die Menschenrechte für alle Herzchirurginnen und Penner gleichermaßen gelten würden?
Linke idealisieren Fremde als „edle Wilde“ und „kämpfende Proletarier“, schreibt Herr Fleischhauer abschließend noch. Und dass die Menschen in Wahrheit zu uns kommen, weil sie unser System attraktiv finden.
Ich kommentiere das nicht inhaltlich. Aber ich empfinde es als eine Unverschämtheit, mir solche Sätze anhören zu müssen. Seit 2 Jahren arbeite ich mit Geflüchteten. Weniger Respekt habe ich bisher nur in rassistischen Kommentaren zu anderen Artikeln erlebt.